Im Taumel der Sehnsucht
ich fürchte, das Leben kann niemals langweilig für dich werden«, erwiderte Bradford. »Benjamin hat mir erzählt, was du früher für einen Unsinn angestellt hast. Dein Vater sollte dankbar sein, daß sich sein Bruder mit dir herumschlagen mußte, als du älter wurdest. Wie mir zu Ohren gekommen ist, warst du wild, undiszipliniert und unbezähmbar.«
»Ich war immer still und zurückhaltend«, stellte Caroline im Brustton der Überzeugung fest. Als ihr Mann in lautes Gelächter ausbrach, kam sie zu dem Schluß, daß er ihr nicht glaubte. »Also gut, ich habe versucht, still und zurückhaltend zu sein«, schränkte sie schließlich ein. »Und ich bin überzeugt, daß mein Vater sich gewünscht hätte, ich wäre bei ihm geblieben.«
»Ja, davon bin ich auch überzeugt«, erwiderte Bradford. Seine Miene wurde sehr ernst, als er hinzufügte: »Es war ein Opfer, das er für dich gebracht hat, Caroline.«
Sie nickte. »Das habe ich mir auch gedacht. Aber ich weiß nicht, wieso. Meinst du, er wird es mir eines Tages sagen?«
Bradford fiel wieder ein, daß er seinem Schwiegervater versprochen hatte, es Caroline nicht zu sagen, bis die Gefahr endgültig vorüber war. Doch plötzlich erkannte er, daß sie ein Recht darauf hatte, die Wahrheit jetzt zu erfahren. Sie war seine Frau, seine geliebte Frau, und er wollte nicht nur die Freuden, sondern auch seine Sorgen mit ihr teilen. »Dein Vater hat mich besucht, während ich in London war. Er hat mir erzählt, was vor fast fünfzehn Jahren geschehen ist.«
Er sah sie prüfend an, dann fuhr er fort: »Eines Nachts kamen zwei Männer in das Haus deines Vaters. Sein Landhaus«, präzisierte er. »Du bist anscheinend von den lauten Stimmen wach geworden und hinuntergegangen. Die Männer wollten deinen Vater umbringen, und du hast versehentlich einen von ihnen erschossen.«
Caroline sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Im Ernst?«
Bradford nickte. »Du kannst dich nicht erinnern, nicht wahr?«
Sie schüttelte den Kopf. »Erzähl mir, was genau passiert ist. Warum wollten diese Männer meinen Vater umbringen?«
Bradford wiederholte die Geschichte, wie er sie vom Earl of Braxton gehört hatte. Als er fertig war, schwieg er, um ihr Zeit zu geben, das Gehörte zu verarbeiten. Sie hatte sich aufgesetzt und ihn die ganze Zeit aufmerksam angesehen.
»Dem Himmel sei Dank, daß ich nicht meinen Vater erschossen haben«, flüsterte sie nun. »Es hätte leicht passieren können.«
»Du warst ein kleines Kind, Caroline«, sagte er beruhigend. »Und es war ein Unfall.«
»Mein armer Vater! Was muß er durchgemacht haben! Oh, jetzt verstehe ich alles. Warum er mich zu Onkel Henry geschickt hat, warum er solange gewartet hat, bis er mich zurückholte! Oh, mein armer Papa!« Tränen der Trauer über die Qualen ihres Vaters rannen ihr die Wangen herab.
Bradford zog sie an sich und wiegte sie beruhigend in seinen Armen. Caroline, dankbar über seinen Trost, dachte eine lange Weile über die seltsame Geschichte, die sie gerade gehört hatte, nach. Sie konnte sich an nichts, rein gar nichts erinnern, so sehr sie sich auch bemühte, die Ereignisse von damals vor ihrem inneren Augen heraufzubeschwören. Schließlich gab sie es auf. »Meinst du, ich werde mich je an diese Nacht erinnern?« fragte sie schließlich ihren Mann.
»Ich weiß es nicht, meine Süße«, erwiderte Bradford. »Dein Vater erzählte, daß du ohnmächtig geworden bist, nachdem sich der Schuß gelöst hatte. Du bist erst am nächsten Morgen wieder aufgewacht. Dann hast du dich verhalten, als wäre nichts passiert. Wahrscheinlich hat dein Verstand sich geweigert, es als Tatsache zu akzeptieren, und das Ereignis einfach aus deiner Erinnerung gelöscht.«
»Ich und ohnmächtig!« stieß Caroline entrüstet hervor. Bradford mußte grinsen.
»Liebes, du warst erst vier«, rief er ihr in Erinnerung zurück.
»Bradford! Der Brief.« schrie sie plötzlich. Sie riß sich los und starrte ihn an. »Der Brief hat etwas damit zu tun, nicht wahr? Jemand will Rache. Rache für das, was vor vielen Jahren geschehen ist! Das ist es doch, oder?«
Bradfords Miene wurde grimmig. »Ich hatte geglaubt, den Täter und sein Motiv zu kennen, bis dein Vater mir von seiner Vergangenheit erzählt hat«, gab er zu.
»Und was denkst du nun? Meinst du, es könnte irgendein Verwandter dieser Männer sein? Was ist mit dem Mann, den ich getötet habe? Hatte er einen Sohn oder eine Tochter?«
Bradford schüttelte den Kopf. »Wie es aussieht,
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