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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Wipfel, der sich wie ein langer Arm ausstreckte, traf er auf einen weiteren Feldweg. Ein schmaler, steiniger, überwucherter Pfad, der aber immerhin den Eindruck erweckte, als hätte ihn jemand absichtlich in dieser steinigen, karg bemoosten Landschaft angelegt. Jemand, der ebenfalls versucht hatte, von diesem schrecklichen Wald wegzukommen.
    Er wusste nicht, in welcher Richtung Norden oder Süden lag oder wohin der Pfad führte, aber allein der Anblick ließ ihn in Tränen ausbrechen und erschütterte jede einzelne Faser seines gepeinigten Körpers.
    Und so taumelte er weiter voran durch die Dunkelheit, heftig zitternd, auf wackligen Beinen und gefühllosen Füßen. Nur gelegentlich drang der schwache Schimmer des Mondlichts zwischen den nächtlichen Wolken hervor und spendete etwas Helligkeit. Oft genug konnte er die Hand vor Augen nicht erkennen. Aber auch das ging vorbei, und der Himmel verfärbte sich indigoblau, dann dunkelblau, dann rosa und schließlich grauweiß.

    Manchmal wurden seine Gedanken glasklar, und er spürte eine Wärme in sich aufsteigen. Dann erinnerte er sich an viele Dinge so lebendig, dass er sich dazu zwingen musste einzusehen, dass er keineswegs in London bei der Arbeit war oder sich in einer Bar in Stockholm mit Hutch über irgendwelche Bücher unterhielt.
    Während er mechanisch und im Fieberwahn voranstolperte, im monotonen Rhythmus seiner tauben Füße, hatte er gelegentlich hellwache Momente, in denen er zu der Einsicht kam, dass ein Nettoeinkommen von 863 Pfund im Monat im Alter von sechsunddreißig Jahren überhaupt kein Problem darstellte. Es war auch nicht der Rede wert, dass er der NatWest Bank 25 000 Pfund schuldete, weil er vor Jahren eine Geschäftsidee in den Sand gesetzt hatte. Das war völlig irrelevant. Dass er seinen Job nicht mochte, zwei seiner Kollegen nicht leiden konnte und so arm war wie seine Einwanderernachbarn in Finsbury Park, dass er Weihnachten fürchtete, weil es immer weniger Orte gab, wo man an diesem Tag hingehen konnte, und dass er nur drei Paar Schuhe besaß, war absolut unwichtig. All das hatte er längst hinter sich gelassen. Er hatte den Blick jetzt auf etwas gerichtet, das jenseits des Horizonts war und gleichzeitig tief in ihm drin. Er wusste, dass er das, was er jetzt fühlte, niemals wieder empfinden würde. Aber auch das spielte keine Rolle. Es würde genug davon in ihm bleiben und weiter leben. Er wusste auch, was es war, das ihn zusammenhielt, und erinnerte sich an den Menschen, der er einst gewesen war, an den, der ständig andere Leute bevormundet hatte. Und er wusste, dass alles, wofür ein Mensch sich in der alten Welt abmühen sollte und was er erreichen musste, völlig unwichtig geworden war.
    Obwohl er nur noch ein Krüppel war, völlig verdreckt und blutbesudelt, und auf seinem Kopf noch immer die welke Blütenkrone thronte, als sollte sie seinen verletzten Schädel zusammenhalten, fühlte er sich leicht und fröhlich und unbeschwert.
Er war nackt, und in seinem Kopf leuchtete ein helles weißes Licht, das das Grau des Himmels überstrahlte und den Regen, der stetig auf ihn prasselte, unbedeutend erscheinen ließ.
    Nichts war von Bedeutung außer der Tatsache, dass er da war. Er selbst. Noch immer war ein kräftiger Funke Leben in ihm. Sein Herz schlug weiter. Er atmete ein und aus und war noch immer in der Lage einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er wusste jetzt, wie schnell und unerwartet ein Leben zu Ende sein konnte. Und ihm war klar, dass ein einzelnes Leben für das ihn umgebende Universum von Raum und Zeit völlig unwichtig war, dass es auch für alle anderen Menschen auf dieser Erde unwichtig war, für die, die noch kommen würden genauso wie für die, die schon längst nicht mehr da waren. Er fühlte sich befreit. Er war allein, aber frei. Frei von allem. Frei von allen, frei von allen Dingen. Zumindest für den Moment. Und das war ja sowieso das Einzige, was jedem blieb: ein kurzer Augenblick.

DANKSAGUNG
    Ein Autor, der allein vorankommen muss, wird irgendwann müde, verwahrlost und gibt schließlich ein jämmerliches Bild ab. Vielen Dank also an Hugh »Hershey« Simmons, der meine Bücher nicht nur sorgfältig gelesen hat (und das mehr als nur einmal), sondern so manche Expedition anführte; auf einer davon mussten wir ein Lager im Schnee errichten, nachdem wir zwei tote Schafe gefunden hatten, die an Bäumen hingen. Ich habe neunzehn Jahre gebraucht, um mich an das Geschehen von damals zu erinnern, und nun hat es Eingang

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