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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Fenster.
    Die Leiche der kleinen alten Frau war von der Wiese verschwunden.
    Kurz überlegte er, ob es nicht besser wäre, den Lauf des Gewehrs gegen sich selbst zu richten.
    Die Anwesenheit des uralten schwarzen Monsters war überall um ihn herum zu spüren. Er konnte es nicht sehen, aber es kam ihm vor, als würde es sich aufbäumen und das ganze Haus überragen. Er spürte es so nahe und intensiv, dass er das Gefühl hatte, es könnte direkt in seinen Kopf, in seine Gedanken und Empfindungen eindringen und dort eine gigantische Angst erzeugen, die Verstand und Widerstandskraft zerstörte. Er bibberte vor Angst, Urin rann seine Beine hinab. Ein Arm begann so heftig zu zittern, dass er ihn mit dem anderen festhalten musste. In seiner Qual stöhnte er laut auf, und es war ein unendlich verzweifelter Ton, den er noch nie in seinem Leben von sich gegeben hatte.
    Das Auto.
    Bebend vor Todesangst beugte er sich über den Tisch und hielt sich daran fest. Sein Atem ging rasend schnell und keuchend, er war ein einziges Bündel des Entsetzens und spürte die
Angst so intensiv, wie nur Urmenschen sie empfunden haben konnten.
    Zu viele Dinge mussten beachtet werden. Er hatte nicht genug Hände. Das Gewehr. Das Messer. Die Schlüssel.
    Er nahm den Schlüsselbund in den Mund und presste die Kiefer aufeinander, um die Schreie zu unterdrücken, die aus seiner Kehle dringen wollten. Seine Zähne bohrten sich in den Metallring.
    Das Gewehr im Anschlag, den Kolben hart gegen die Schulter gepresst, ging er voran. Aus seinem Mund troff der Speichel, lief über das Kinn und tropfte auf die Hand, mit der er den Gewehrlauf hielt. Er setzte einen Schritt vor den anderen und trat hinaus in den silbrig schimmernden Morgen, der einer anderen, längst vergangenen Welt angehörte. Allein, nackt.

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    Das Ding war schnell, das wusste er. Als es zuletzt brüllend aufgeschrien hatte, war das grässliche Bellen von der anderen Seite des Hauses gekommen. Von der Vorderseite. Also, sagte er sich, müsste es doch möglich sein, sich durch die Hintertür zu schleichen, um von dort zum Pick-up zu gelangen, während das Ding auf der anderen Seite herumirrte und lärmte.
    Aber kaum hatte er fünf Schritte auf die Wiese gemacht und sich ein Stück weit von der Küchentür entfernt, hörte er es wieder vor sich, zu seiner Rechten, dort wo sich der unendliche Wald ausbreitete, in der Nähe des Obstgartens. Es schien so, als wollte das Ding ebenfalls zum Auto, als würde es spüren, was er vorhatte. Und ganz offensichtlich hatte es eine Entfernung von über hundert Metern in weniger als einer Sekunde zurückgelegt.
    Er ging in die Hocke und suchte mit dem Gewehrlauf den Waldrand ab, dicht am Boden, wo er den langgestreckten geduckten Körper des Monstrums vermutete.
    Aber da war nichts. Die Bäume standen ruhig und dunkel da, und der Regen fiel teilnahmslos herab. Er fragte sich, ob die Feuchtigkeit seinen Geruch dämpfte, denn ihm war klar, dass dieses Ding dank seiner Witterung immer genau gewusst hatte, wo seine Opfer sich befanden. Ganz bestimmt beobachtete es ihn jetzt.

    Geduckt schlich er weiter. Sein pfeifender Atem kam ihm viel zu laut vor, aber er konnte das Geräusch nicht unterdrücken. Es klang wie das Japsen eines alten Hundes. Langsam bewegte er sich auf den Pick-up zu. Er konnte nur die Umrisse des weißen Fahrzeugs am Rand seines Sichtfelds erkennen, weil er die ganze Zeit wie gebannt auf den Waldrand starrte.
    Die Obstbäume standen unregelmäßig in größeren Abständen, so dass er mit seinem Gewehr über den Wassergraben neben dem Feldweg hinweg auf den Waldrand zielen konnte. Wenn nur das Heck des Wagens nicht so nahe an den Bäumen gestanden hätte.
    Er entschied, dass es das Beste wäre, durch die Fahrertür ins Auto zu steigen, während er bis zum letzten Moment den Gewehrlauf auf den Wald richtete. Er konnte nur einen Schuss abfeuern, wenn das Ding durch die Bäume hindurch auf ihn zustürzte. Der Abstand betrug höchstens acht Meter.
    Er zog die Fahrertür auf. Traute sich nicht einmal zu blinzeln. Schob sich auf die Sitzbank hinter das Lenkrad. Drehte das Fenster auf der Beifahrerseite herunter, zog die Fahrertür zu und legte den Gewehrlauf auf die Unterkante des Beifahrerfensters. Falls der Motor funktionierte und er den Feldweg entlangfuhr, konnte er durch das offene Fenster schießen.
    Er legte sein Messer auf das Armaturenbrett, nahm die Schlüssel aus dem Mund und versuchte, den Autoschlüssel ins Zündschloss zu stecken.

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