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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Dunkelheit des unendlich weiten Waldes. Es klang, als hätte ein Riese etwas verschluckt, das ihm nun in der Kehle steckte und den Atem nahm. Luke sah seine rechte Hand an. Sie war leer.
    Der Motor war ausgegangen. Das Lenkrad war zerstört.

    Er schloss die Augen. Dann riss er sie wieder auf. In seinem Mund sammelte sich Flüssigkeit. Blut. Seine Nase war zerschlagen.
    Er warf das Gewehr auf die Kühlerhaube. Dann stieg er, nackt wie er war, aus dem Wagen.

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    Er hörte es nie mehr keuchen oder husten oder bellen. Auch das an einen Schakal erinnernde Jipp-Jipp-Jipp hörte er nicht mehr. Aber er war nicht allein hier draußen im Wald, der sich über ihm wölbte, das blassgraue Sonnenlicht zurückhielt und dicke Wassertropfen auf ihn fallen ließ, als wären die Zweige und Äste das Dach einer Tropfsteinhöhle, feucht glänzend und angsteinflößend seit Anbeginn der Zeit.
    Nein, er hörte und sah nichts mehr von diesem Ding. Aber andere Wesen begleiteten ihn.
    Er schluckte und schluckte, um den schrecklichen Durst loszuwerden, der vielleicht vom Pulverdampf kam, den er eingeatmet hatte. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, er schwitzte. Er sah Dinge und hörte Stimmen von Menschen, die gar nicht da waren. Er überquerte die Grenzen verschiedener Welten. Er ging weiter. Immer weiter.
    Die kleinen weißen Leute waren nicht zu sehen, aber er hörte, wie sie durch den Wald huschten. Sie plapperten miteinander wie Äffchen. Manchmal glaubte er Gestalten am Rand seines Blickfelds aufblitzen zu sehen. Sie waren klein und blass wie nackte Kinder.
    Zweimal drehte er sich um, kniete nieder und schoss in die Bäume, dorthin, wo er glaubte, eine kleine bleiche Gestalt gesehen
zu haben, die auf winzigen Füßen umherlief und etwas vor sich hinzwitscherte. Aber das waren vielleicht nur Spukgestalten seines Deliriums. Danach war es wieder ruhig. Eine schreckliche Stille breitete sich aus, in der Erwartungen und leise Hoffnungen aufkeimten. Dann fing alles wieder von vorn an: Das Trippeln der unsichtbaren kleinen Füße über den feuchten Waldboden und das leise Rufen kleiner Wesen, die sich irgendwo im Unterholz versteckten.
    Sie hatte ganz schön viele Nachkommen. Und nun war Moder verletzt, und ihre Brut war wütend. Wenn er stürzte und vor Erschöpfung in Ohnmacht fiel, das war ihm klar, dann würden sie ihn holen und durch den Schlamm hindurch in den Wald zerren. Also ging er weiter, immer weiter und sprach die ganze Zeit mit sich selbst, um sie davon abzuhalten, ihn anzufallen.
     
    Am frühen Abend erreichte er das Ende des Waldwegs und konnte endlich wieder in den freien Himmel blicken. Es kam ihm vor, als hätte er diesen Anblick seit Jahren nicht mehr genossen. Der Pfad hörte einfach auf, und als er sich umdrehte und zurückschaute, sah er nur die undurchdringliche Wand des Waldes, als stünde er in einer Bucht, deren Ausläufer rechts und links von ihm ins Meer ragten, und wäre durch einen schmalen Spalt oder eine versteckte Höhle aus der Steilküste hinter sich ins Freie getreten. Das Ende des Weges, den er den halben Tag entlanggelaufen war, konnte er schon nicht mehr erkennen, auch keine lichten Stellen im Unterholz, das dort mannshoch wucherte.
    Er war auf einer felsigen Ebene angelangt, kahl vom ständigen Regen und dem Wind. Graue, moosgrüne und ausgebleichte Felsen, wohin er auch blickte. Abgesehen von vereinzelten Birken war es eine ausgedörrte, trostlose Landschaft, die wirkte wie der Grund eines ausgetrockneten Ozeans.
    Ein erstickendes Gefühl unendlicher Einsamkeit überkam ihn in dieser kahlen Einöde. Er fühlte sich verlassener als jemals zuvor
in seinem Leben. Gleichzeitig spürte er einen irren Drang immer weiterzugehen, immer weiter zwischen diesen massiven Felsblöcken hindurch. Der Ort ähnelte auf verblüffende Weise demjenigen, an dem sie vor unendlich langer Zeit losgegangen waren. Damals, als er mit seinen drei besten Freunden auf Campingtour gewesen war.
    Nachdem er einigen Abstand zwischen sich und den Waldrand gebracht hatte, hockte er sich auf den Boden und fuhr immer wieder auf und reckte den Kopf, wenn er kurz einnickte und für einige Sekunden oder Minuten oder auch Stunden in einen lähmenden Schlaf fiel, wie lange, konnte er nicht mehr einschätzen. Schließlich wurde ihm so kalt und er zitterte derart heftig, dass er sich wieder aufrappelte, das Gewehr schulterte und losging, um die Bäume so weit wie möglich hinter sich zu lassen.
    Jenseits eines Ausläufers der hoch aufragenden

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