Im Totengarten (German Edition)
anzusehen, schwang die Bürotür auf.
»Alles klar«, erklärte Alvarez. »Die Briefe werden bereits untersucht.«
»Da wäre noch etwas. Und zwar geht es um die Beweise von dem Benson-Fall.«
»Was ist damit?«
»Ich muss sie sehen«, schnauzte ich ihn an. »Schließlich hat mich Burns gebeten, ihm zu helfen!«
»Dabei handelt es sich nicht um ein, zwei Akten, Alice«, klärte er mich auf. »Sondern um genug Papier, um damit ein ganzes Zimmer anzufüllen.«
Alvarez stand vor dem Landschaftsbild, als preise er die Vorzüge Spaniens als Urlaubsziel an.
»Übrigens, die Fotos von Ihrer Frau sind wirklich wunderschön«, stellte ich mit ausdrucksloser Stimme fest.
Er wandte sich ab und gab mir dadurch zu verstehen, dass er nicht die Absicht hatte, mir Rede und Antwort zu stehen.
»Sorgen Sie bitte einfach dafür, dass ich Zugang zum Benson-Archiv bekomme«, bat ich ihn. »Ich sehe es mir dann an, wenn ich Zeit habe.«
Als ich den Raum verließ, zog ich die Tür fester zu als nötig. Zwar nicht fest genug, als dass das Glas gesprungen wäre, aber mit genügend Kraft, um ihm deutlich zu verstehen zu geben, dass ein Mann, der seine Ehefrau betrog, mir alles andere als sympathisch war.
11
Es war bereits nach elf, bis ich endlich in die Klinik kam. Haris Tür stand offen, und er winkte mich zu sich herein, sah mich mit seinem sanftmütigen Lächeln an und wies auf den Teller voller Kuchenstückchen neben seinem Telefon.
»Alice, du kommst gerade rechtzeitig für einen kleinen Snack.«
Ich suchte mir eine vor Zucker und Zimt klebende Apfeltasche aus. »Treibst du überhaupt je irgendeinen Sport, Hari?«
»Nicht wenn ich es vermeiden kann.«
»Dann bestehst du also nur aus Geist. Ein körperloses Hirn. Hast diese beiden Teile deines Selbst vollkommen voneinander getrennt.«
»So könnte man wahrscheinlich sagen«, räumte er mit einem noch breiteren Lächeln ein. »Manchmal zwingt mich Tejo, mit dem Hund Gassi zu gehen, aber zu mehr bringt sie mich nicht.«
»Wie geht es ihr?«
»Sie ist gerade ziemlich sauer auf mich.«
»Das glaube ich dir nicht.« Während der fünf Jahre unserer Zusammenarbeit hatte Tejo sich nicht einmal aufgeregt, nicht mal, wenn die Assistenzärzte nichts unversucht gelassen hatten, um uns zu beweisen, dass wir nur zwei winzig kleine Lichter waren.
»Du sollst zum Abendessen kommen. Anscheinend habe ich versäumt, das zu erwähnen.«
»Jederzeit und mit Vergnügen.« Lächelnd stand ich wieder auf. »Für ein Essen bei euch würde ich sogar zu Fuß quer durch die Wüste gehen.«
Er rieb sich die Hände. »Gut, dann machen wir am besten möglichst bald einen Termin.«
»Bis dann.«
Ich wandte mich zum Gehen, aber kaum dass ich in den Flur hinausgetreten war, rief er mich noch mal zurück. »Dein Freund, der Polizist, hat für dich angerufen. Ich habe seine Nachricht irgendwo notiert.« Er wühlte in einem Haufen bunter Zettel neben seinem Telefon.
»Burns?«
»Genau der. Er bräuchte dich noch mal.«
Ich nickte vorsichtig. »Okay.«
»Bist du sicher, dass du noch mal für ihn tätig werden willst?«
»Ich habe ja wohl keine andere Wahl.«
»Natürlich hast du die.« Hari winkte lässig ab. »Genau wie ich entschieden habe, dass ich niemals Tennis spielen werde. Du hast durchaus das Recht, etwas abzulehnen, Alice.«
Ich erwiderte sein Lächeln. »Diesmal leider nicht. Denn ich stecke in der Sache bereits mittendrin.«
An dem Nachmittag hatte ich noch drei Sitzungen mit einer älteren Frau, die mit Depressionen kämpfte, einem Mann mittleren Alters, der stressbedingt zusammengebrochen war, sowie einem heranwachsenden Jungen mit einer akuten Soziophobie. Während der ganzen Sitzung summte er leise vor sich hin und zog sich ständig seinen Pony vor die Augen.
Nachdem er gegangen war, rannte ich auf die Station, auf der Laura Wallis lag, doch sie hatte gerade Besuch. Zwei Mädchen saßen auf ihrer Bettkante und heiterten sie mit Geschichten aus der Schule auf. Es war ein Schock für mich, zu sehen, wie winzig Laura im Vergleich zu ihnen war. Ihre Freundinnen sahen wie Amazonen aus und waren locker doppelt so kräftig wie sie. Doch zumindest schien es Laura zu erleichtern, dass sie nicht vergessen worden war, sie wirkte bereits kräftiger als an dem Tag, an dem sie eingeliefert worden war, und hatte sogar wieder einen Hauch von Farbe im Gesicht.
Es fing an zu graupeln, bis ich endlich bereit war zu gehen. Der Posteingang meines Computers war noch immer brechend voll:
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