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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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schlafen ließ.
    »Ich sehe ihn ständig«, brabbelte ich los. »Er hat einen Schlüssel für meine Wohnung und kommt dort fast jeden Tag vorbei.«
    »Und warum sind Sie dann um ihn besorgt?«
    »Weil ich ihn seit gestern früh nicht mehr gesehen habe. Sein Bus steht vor dem Haus, aber ich habe keine Ahnung, ob er auch darin geschlafen hat.«
    »Damit ich Sie richtig verstehe …« Alvarez massierte sich die Stirn, als könnte er dadurch die Falten auswischen, die darin eingegraben waren. »Ihr Bruder könnte die Nacht ein paar Meter vom Mordopfer entfernt verbracht haben?«
    »Vielleicht, aber zumindest weiß ich, dass ihm nichts geschehen ist. Weil er mich nämlich heute Morgen angerufen hat.«
    »Was ist bloß mit Ihnen los?« Wütend knallte Alvarez seine Papiere auf den Tisch. »Warum haben Sie uns das nicht gleich gesagt?«
    »Weil es nichts zu sagen gab. Er ist eben ziemlich unberechenbar, sonst nichts.«
    »Um ihn mache ich mir keine Sorgen.« Er marschierte wieder in den Einsatzraum, und die Glastür schwang hinter ihm zu.
    Es verging fast eine Stunde, ohne dass noch einmal jemand mit mir sprach. Vielleicht war ich paranoid, aber es kam mir so vor, als sähen die Leute jetzt noch öfter durch die Glaswand des Kabuffs, in dem ich saß, als wäre ich ein seltener Fisch in einem Aquarium. Inzwischen kannte jeder Einzelne von ihnen mein Sexualleben, und jetzt hatten sie auch noch gehört, dass mein Bruder ein Halbirrer war. Schwer zu sagen, ob in ihren Blicken Neugier, Empörung oder Mitleid lag. Inzwischen hatte sich der Kopfschmerz auf meinen ganzen Schädel ausgedehnt.
    Um mich abzulenken, kritzelte ich auf einem Stück Papier herum. Das machte ich auch, wenn ein Patient zu seiner ersten Sitzung kam. Dann listete ich alle Eigenschaften und verbalen Eigenheiten dieses Menschen auf, die vielleicht für meine Diagnose hilfreich waren.
    Am meisten interessierte mich, dass der Killer Benson offenbar als Vorbild oder gar als Held betrachtete. Abhängig von seiner Krankheit glaubte er möglicherweise sogar, er könnte Ray Benson werden. Oder vielleicht lieh er sich auch durch die Nachahmung die Identität eines ihm aus seiner Sicht überlegenen Mannes aus.
    Bis Burns irgendwann zurückkam, hatte ich diverse DIN-A4-Blätter mit Diagrammen, Kritzeleien und stichpunktartigen Listen angefüllt. Er wirkte erschöpft, obwohl es ihm gelungen war, beinahe während des ganzen Tages einen Besuch des Einsatzraums zu vermeiden.
    »Das muss endlich aufhören, Alice.« So, wie er mich ansah, hätte man tatsächlich denken können, dass er mich für hochgefährlich hielt.
    »Was muss endlich aufhören?«
    »Sie haben meinen Stellvertreter schon wieder aufgeregt. Er war eben bei mir im Büro und hat mir etwas vorgestöhnt. Er sagt, dass Sie uns wichtige Details verschweigen.«
    »Unsinn.«
    »Völlig unrecht hat er damit sicher nicht.«
    »Hören Sie, ich habe das doch alles schon erklärt. Mein Bruder ist psychisch krank und haut immer wieder ab. Letztes Jahr hat er sich sogar ein paar Monate lang nicht bei mir gemeldet, und ich hatte keine Ahnung, wo er steckte.«
    »Es sieht nicht gut aus, Alice.« Burns blies einen langen Atemstoß zwischen seinen gespitzten Lippen aus, als hätte er eine unsichtbare Trompete vor dem Mund. »Wir müssen ihn vernehmen, und jetzt ist er abgetaucht.«
    »Unsinn. Wahrscheinlich sitzt er jetzt gerade in meiner Wohnung rum.«
    »Das tut er nicht.« Burns blickte auf den Computerausdruck, mit dem er hereingekommen war. »Und Sie haben uns auch nichts von seinen Vorstrafen erzählt. Die Liste ist ziemlich beeindruckend, nicht wahr?«
    »Nun übertreiben Sie mal nicht.«
    »Landfriedensbruch, Ladendiebstahl, Beamtenbeleidigung«, las er von dem Ausdruck ab. »Und dann noch Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt bei der Festnahme.«
    Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Bis vor acht Jahren war Will ein vorbildlicher Bürger, aber dann wurde er krank. So einfach ist das.«
    »Ich weiß.« Burns schob sich seine Brille wieder vor die Augen. »Weshalb er bis jetzt immer mit einem blauen Auge davongekommen ist.«
    »Hören Sie, Don. Er versucht gerade, sein Leben wieder in den Griff zu kriegen, und er hat mit dieser Sache ganz eindeutig nichts zu tun. Er könnte nicht mal einer Fliege was zuleide tun.«
    Er bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick. »Also gut, Alice, jetzt bringen wir Sie erst einmal hier raus.«
    Als Burns den Einsatzraum

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