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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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Wache ausgesetzt gewesen war, erspart.
    Noch immer stand das weiße Zelt dort, wo das Mädchen abgeladen worden war, ein Stück neben Wills Bus, davon abgesehen jedoch war der Platz inzwischen völlig leer.
    Oben in der Wohnung warf ich mich erschöpft auf einen Küchenstuhl. In den Häusern gegenüber brannte kaum ein Licht. Vielleicht hielten sich die Leute ja, beunruhigt von den Nachrichten, bei irgendwelchen Freunden auf. Und auch von Lola war nirgends etwas zu sehen. Entweder war sie also ausgegangen, oder sie und Lars hatten sich in meinem Gästezimmer eingesperrt und liebten sich in aller Stille, um zu sehen, ob das Vergnügen dadurch eine zusätzliche Steigerung erfuhr.
    Nur das rote Licht meines AB zwinkerte mir ungeduldig zu.
    »Alice, was in aller Welt ist bei euch los? Die Polizei war hier und wollte wissen, wo dein Bruder ist.« Zur Abwechslung klang die sonst immer ruhige und beherrschte Stimme meiner Mutter leicht erregt. »Ich kann nur hoffen, dass ihr nicht in irgendwelchen Schwierigkeiten steckt.«
    »Das hoffe ich auch«, murmelte ich, und noch bevor ich meinen Mantel auszog, hatte ich die Nachricht schon gelöscht.

15
    Als ich am nächsten Tag erwachte, war mein Kopf zunächst wie leergefegt. Während eines kurzen Augenblicks war es ein völlig normaler Tag, an dem ich noch ein wenig Zeit im Bett verbringen konnte, bis es Zeit für meine morgendliche Dusche war. Schließlich aber kehrte die Erinnerung zurück, und auch als ich die Augen schloss, sah ich vor mir, wie ich über Suzanne Wilkes gestolpert war. Ich sah all die tiefen Wunden in der Haut der toten Frau, Alvarez’ gerunzelte Stirn und Burns’ niedergeschlagenes gräuliches Gesicht. Es tat gut, Lolas und Lars’ Stimmen nebenan zu hören, denn sie waren der Beweis dafür, dass die Leben anderer nicht derart aus der Bahn geraten waren.
    Um halb acht war ich bereit zu gehen, aber meine Polizeieskorte war noch nicht erschienen. Draußen an der Straße direkt neben dem Bus von Will parkte ein Streifenwagen, in dem zwei Beamte selig schlummerten. Ich beschloss, ihnen noch zehn Minuten süßer Träume zu gewähren, bevor ich nach unten laufen und sie darum bitten würde, mich zum Dienst zu fahren.
    Ich packte noch mein Lunchpaket, als plötzlich jemand an die Tür klopfte. Es war nicht das vertraute Trommeln meines Bruders, das gewöhnlich alle Nachbarn weckte, sondern nur ein leises Tippen, so, als wollte der Besucher gar nicht wirklich, dass es irgendjemand mitbekam. Ich sah durch den Spion und riss die Tür auf.
    Will sprach in ernstem Ton mit irgendeinem unsichtbaren Freund. Offenkundig wollte er ihn dazu bringen, dass er irgendetwas tat, was ihm nicht zu gefallen schien.
    »Komm rein.« Ich streckte meine Arme nach ihm aus. »Wärm dich erst mal auf.«
    Er blickte geradewegs durch mich hindurch. Er trug immer noch die Secondhandkleider, die Lola ihm gekauft hatte, doch die Beine seiner schwarzen Hose waren schlammverschmiert. Wo in aller Welt hatte er wohl die letzten beiden Nächte zugebracht? Ich legte meine Hand auf seinen Arm. Seine Jacke war klitschnass, kein Wunder, dass er zitterte wie Espenlaub. Er stieß ein paar unzusammenhängende Worte aus, die unmöglich zu verstehen waren.
    »Lola ist hier. Willst du sie sehen?«
    Er zuckte mit den Schultern. Während eines kurzen Augenblicks war er bei mir, und obwohl er immer noch durch mich hindurchzusehen schien, wusste ich, dass er mich gehört hatte.
    »Sie hat einen neuen Job und singt in einer Bar.«
    Will fing leise an zu summen.
    »Ja, genau. Und sie ist echt nicht schlecht. Sie klingt wie eine Mischung aus Edith Piaf und Billie Holiday.«
    Er stieß ein schrilles Lachen aus, als ob ihm die Vorstellung gefiele, doch als ich versuchte, ihn hereinzuführen, wich er vor mir zurück.
    »Bleib hier, Will«, bat ich ihn in ruhigem Ton. »Bitte geh nicht wieder weg.«
    In der Wohnung trat ich vor die Tür des Gästezimmers und klopfte vorsichtig an.
    »Lola? Ich brauche deine Hilfe.«
    Wenige Sekunden später machte sie mir auf. Ohne ihr Make-up sah sie mit ihren Sommersprossen und den rosigen Wangen wie ein siebzehnjähriges Mädchen aus. Sie trottete barfuß durch den Flur, und ich ging in die Küche und wartete darauf, dass der ihr eigene Zauber seine Wirkung tat.
    »Schätzchen«, rief sie aus. »Ich freue mich unglaublich, dass du mich besuchst.«
    Wills Antwort war zu leise, als dass sie zu verstehen war.
    »Natürlich werde ich was für dich singen, Schatz, aber nur, wenn du zum

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