Im Totengarten (German Edition)
Frühstück bleibst. Die Tür ist offen, wenn du reinkommen willst.«
Lola wirkte vollkommen erschüttert, als sie zu mir in die Küche kam.
»Meine Güte, Al. Er ist in einem grauenhaften Zustand«, raunte sie mir zu. »Ich weiß nicht mal, ob er in die Wohnung kommen wird.«
Ein paar Minuten später wagte Will sich durch die Tür. Lola ergriff seine Hand, führte ihn zu einem Stuhl, und ich röstete einen Berg von Toast. Zumindest brauchte ich, solange ich beschäftigt war, nicht zuzugucken, wie sein ganzer Körper zuckte, während er mit leiser Stimme mit sich selber sprach. Hätte ein Patient von mir sich so verhalten, hätte ich wahrscheinlich kein Problem damit gehabt, sondern ihn beobachtet, die Psychopharmaka notiert, die möglicherweise halfen, und ihn dann in eine Kunst- oder Musiktherapie geschickt, bis die Medikamente wirkten. Nur dass dieser Mensch eben mein Bruder war.
»Soll ich etwa schon mit leerem Bauch was für dich singen?«, fragte Lola ihn. »Meine Güte, du bist ganz schön anspruchsvoll.«
Leise sang sie God Bless the Child , und als ich mich umdrehte, saß Will vollkommen ruhig auf seinem Stuhl, stützte sein Kinn auf eine Hand und blickte Lola an, als könnte er ihr ewig zuhören. Ich stellte ihm einen Teller Toastbrot auf den Tisch, und ohne seinen Blick auch nur für einen Augenblick von ihr zu lösen, schob er sich die erste Scheibe in den Mund. Als der letzte Ton des Lieds verklang, sagte er nicht danke, sondern starrte Lola einfach weiter an. Ich setzte mich ihm gegenüber an den Tisch und versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen, indem ich ihm direkt in die Augen sah.
»Hör zu, Will. Nach dem Frühstück müssen wir ein Taxi rufen, weil die Polizei uns beide sprechen muss.«
Sofort nahm er eine andere Haltung ein und sprach in einem eindringlichen Flüsterton wieder mit sich selbst.
»Wenn du willst, komme ich mit.« Lola drückte seine Hand.
»Es ist keine große Sache«, fügte ich hinzu. »Sie wollen nur wissen, wo du letzte Nacht gewesen bist, sonst nichts.«
»Bei meinem Freund«, erklärte er, sah mich aber plötzlich aus zusammengekniffenen Augen böse an. »Du hast dich in ihm geirrt, Al. Er hat für mich gekocht und mir Zeug gegeben. Aber du lässt mich ja einfach keine Freunde haben, stimmt’s?«
»Natürlich tue ich das. Nur mag ich einfach die Freunde nicht, die dir Drogen geben, das ist alles. Übrigens, wie heißt denn überhaupt der Freund, bei dem du warst?«
Lola legte ihre Hand auf seinen Kragen. »Deine Jacke ist ganz nass, Schätzchen. Warum hänge ich sie nicht über die Heizung, wo sie trocknen kann?« Sie glitt mit seiner Jacke lautlos in den Flur hinaus.
Ohne mich noch zu beachten, klatschte Will dick Marmelade auf die nächste Scheibe Toast.
»Also, Will, was ist das für ein Freund?«, fragte ich noch mal. Ich stellte mir einen mittelalterlichen Gutmenschen mit einem Samariterkomplex vor, der sich, um ein reines Gewissen zu behalten, selbst nach Feierabend noch mit Typen wie Will abgab.
»Er interessiert sich für mich, und manchmal fragt er auch nach dir.« Er sah mich aus den Augenwinkeln an, und meine Haut fing an zu kribbeln.
»Was will er denn über mich wissen, Will?«
Er fing wieder an, leise zu summen, und starrte aus dem Fenster, als gäbe es mich plötzlich nicht mehr.
Mit zitternden Beinen trat ich in den Flur hinaus. Lola hatte seine Jacke über der Heizung ausgebreitet, und mir fiel die Ausbeulung in einer Tasche auf. Ohne Zweifel hatte dieser neue Freund ihm einen Cocktail neuer Drogen überlassen, und in der Erwartung, auf ein Päckchen, eine Spritze oder so zu stoßen, schob ich meine Hand hinein, ertastete jedoch ein Stück Metall. Es war das Schnappmesser, das mir bereits in seinem Rucksack aufgefallen war. Am liebsten hätte ich es einfach weggeworfen, aber Will wäre vollkommen außer sich, wenn er erführe, dass ich mich an seinen Besitztümern vergriff.
Während ich noch überlegte, was ich machen sollte, tauchte Lola auf.
»Was ist denn das?« Sie starrte auf den reichverzierten Silbergriff. Es handelte sich bei dem Messer um ein wunderschönes Stück, das nur eben leider alles andere als ungefährlich war.
»Das war in seiner Tasche«, raunte ich ihr leise zu, und ehe ich sie daran hindern konnte, nahm sie es mir aus der Hand.
Will saß immer noch in seiner eigenen Welt verloren auf dem Stuhl und trank schlürfend seinen Saft. Lola nahm ihm gegenüber Platz und legte das Messer vor ihm auf den Tisch.
»Das
Weitere Kostenlose Bücher