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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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verbissener wurde er. Also packte ich am Ende ein paar Sachen ein, und er wartete mit ernster Miene, bis ich damit fertig war.
    »Übrigens haben wir uns heute auch mit Ihrem Exfreund unterhalten.«
    »Sean?«
    »Er war ein paar Stunden bei uns auf dem Revier, aber am Schluss durfte er wieder gehen. Er ist ein echter Gentleman, nicht wahr?« Bei diesem Satz verzog Burns angewidert das Gesicht.
    »Empfinden Sie seinen Charme möglicherweise als Affront?«
    »Wir behalten ihn auch weiterhin im Auge, weil er weniger charmant als vielmehr schmierig ist.« Abermals hatte der DCI diesen fast irren und zugleich vollkommen konzentrierten Blick wie ein Kind im Süßwarengeschäft, das versuchte, möglichst viel auf einmal zu probieren, weil es danach vielleicht nie wieder etwas derart Köstliches bekam. Doch aus irgendeinem Grund machte ich keine Anstalten, Sean zu verteidigen. Während unseres Zusammenseins hatte er immer so ausgeglichen und so angepasst gewirkt, dass es beinahe schon beängstigend gewesen war, doch inzwischen ergab einfach nichts mehr irgendeinen Sinn, und mit einem Mal sah ich ihn wieder vor mir, wie er mit zitternden Händen und so wütend, dass ich ihn beinah nicht mehr erkannt hätte, vor das Vinopolis getreten war. Ich hatte mich in dem Moment nur noch auf mein Fahrrad schwingen wollen, um so schnell wie möglich vor ihm zu fliehen.
    Burns beobachtete, wie ich in den Fond eines der Streifenwagen stieg. Vielleicht hatte er Angst, dass ich unterwegs die Tür aufreißen und mich auf die Straße stürzen würde, um zu flüchten, überlegte ich. Und auch der Polizist, der mich chauffierte, sprach kein Wort, sondern sparte seine Energie anscheinend für den Fall, dass ich mich schlecht benahm.
    Es dämmerte bereits, als er mich ins Regency, ein großes Hotel in der Bankside, eskortierte, und als er mich unter einem falschen Namen in das Gästebuch eintrug, hätte ich beinahe laut gelacht. Vielleicht lag es an der Kombination aus Hunger, Schock und Unglauben, doch nichts, was an dem Tag geschehen war, erschien mir auch nur annähernd real. Mein Schlummertrunk mit Alvarez hätte auch schon ein Jahr her sein können, denn meine Erinnerung daran war lange schon verblasst.
    Ich war viel zu müde, um zu protestieren, als es hieß, wir führen mit dem Fahrstuhl in den fünften Stock hinauf. Als wir den Lift betraten, wogte die gewohnte Panik in mir auf, doch zum Glück setzte sich das Gefährt umgehend in Bewegung, und ich kniff einfach die Augen zu, bis wir wenige Sekunden später oben waren.
    Kaum waren wir in der Suite, machte es sich der Beamte auf der Couch bequem, begann mit der Erforschung sämtlicher Kanäle des modernen Flachbildfernsehers und sah dabei durchaus nicht unzufrieden aus. Sicher war ihm alles lieber, als die Nacht in einem kalten Streifenwagen zu verbringen und zu gucken, ob es vielleicht irgendwelche Missetäter zu verhaften gab.
    Ich sperrte die Tür des Schlafzimmers hinter mir ab. Es war nur ein Reflex, doch nach allem, was geschehen war, bekäme ich einzig in einem sicher abgeschlossenen Raum ein Auge zu. Die Stadt erwachte schon, als wäre nichts geschehen. Über der Canary Wharf im Osten färbte sich der Himmel bereits rosa, und die Wolkenkratzer sahen aus der Ferne schmal wie Grabsteine und nicht wie Häuser aus. In der Spalte zwischen zwei Gebäuden war die Kuppel von St. Paul’s zu sehen, und ich fragte mich, was mir wohl Christopher Wren geraten hätte angesichts der Ereignisse. Höchstwahrscheinlich nichts. Er hätte sicher nicht einmal von seinem Schreibtisch aufgeblickt, denn er hätte viel zu viel damit zu tun gehabt, eine Skizze zu vollenden, noch bevor der nächste Zwanzig-Stunden-Tag für ihn begann.
    Ich schickte Lola eine SMS, schloss die Vorhänge vor meinem Fenster und zog mir, ohne auf das Zittern meiner Hände einzugehen, zum zweiten Mal in dieser Nacht eine Bettdecke über den Kopf.

23
    Der umfängliche Polizeischutz, den der DCI mir angedeihen ließ, bedeutete einen vollkommenen Verzicht auf jegliche Privatsphäre und hielt mich in der Hotelsuite fest. Morgens wurde der erschlaffte Kämpfer, der während der Nacht die Glotze leergesehen hatte, durch eine putzmuntere junge Frau ersetzt, die mich an eine Elfe denken ließ. Sie war sogar noch kleiner und zierlicher als ich, hatte ein feingeschnittenes Gesicht und kurzgeschnittenes, rötlich blondes Haar. Jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachte, war ich überrascht, denn sie hatte einen ruppigen Ostlondoner Akzent. Ihr

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