Im Totengarten (German Edition)
gelblich spiegelten. Der Geruch nach Abwasser und Müll und verrottendem Obst war überwältigend, doch Alvarez verstärkte den Druck von seiner Hand auf meiner Taille, vergrub sein Gesicht an meinem Hals und drückte mich so fest gegen die kalte Wand, dass die Kälte der Backsteine durch meinen dünnen Pulli drang. Vielleicht lag es an den Endorphinen, doch ich hätte mich an Ort und Stelle für ihn ausziehen und mich danach in die kalten Fluten stürzen können, um mich abzukühlen. Plötzlich aber wurden irgendwo in unserer Nähe Schritte laut. Irgendjemand lachte und blieb stehen, bevor er weiterging. Wir waren also ganz eindeutig nicht allein.
Alvarez küsste mich drängender, doch als er eine Hand zwischen meine Oberschenkel schob, stieß ich einen abgrundtiefen Seufzer aus.
»Das geht nicht«, raunte ich.
»Und warum nicht?«
»Stell dir doch einmal die Schlagzeilen vor, wenn uns hier irgendwer erwischt.« Ich schob ihn auf Armeslänge von mir fort. »Begeistert wäre Burns davon ganz sicher nicht.«
Er presste seine Lippen an mein Ohr. »Das könnte mir nicht gleichgültiger sein, aber du liebst es, mich zu quälen, stimmt’s?«
»Der Reiz des Neuen hat sich allmählich gelegt«, klärte ich ihn lachend auf. »Also bring mich zurück in mein Hotel, und mach da weiter, wo du aufgehört hast.«
Wir joggten langsamer zurück, und die roten Funken, die die Rücklichter der Wagen auf den Brücken auf das Wasser warfen, sahen wie ein verglühendes Feuerwerk aus.
Im Hotelfoyer drängten sich zahllose, neu angekommene Touristen grummelnd am Empfang, doch Alvarez joggte mit seiner Hand auf meinem Schulterblatt vollkommen ungerührt an ihnen vorbei in Richtung Treppenhaus, dann in den fünften Stock hinauf und küsste mich erneut, während ich umständlich nach meinem Zimmerschlüssel kramte.
Ich wollte mich nur noch auf mein Bett werfen und ihm dabei zusehen, wie er aus seinen Kleidern stieg. Doch kaum traten wir durch die Tür, wurden wir gutgelaunt begrüßt.
»Hallo, Boss«, wandte sich Angie fröhlich ihrem Vorgesetzten zu. »Ich fange heute früher an. DCI Burns meinte, Sie hätten vielleicht gerne einen Abend frei.«
Ich wusste nicht, ob mir nach Lachen oder eher nach Weinen war. Es gibt ein psychologisches Syndrom, unter dem zahlreiche depressive Menschen leiden, demzufolge niemals irgendetwas sofort in Erfüllung geht. Sie zwingen sich, auf Urlaube zu warten, auf den Wechsel ihres Jobs oder darauf, einen Partner zu finden, denn aus ihrer Sicht haben sie einfach kein Glück verdient.
Alvarez entfuhr ein leises Stöhnen, so, als wäre die Erfüllung dieses ganz speziellen Wunsches schon so oft verschoben worden, dass er es einfach nicht mehr ertrug.
28
Ich kam mir zwischenzeitlich vor wie in einem Remake von Täglich grüßt das Murmeltier. Während ich wie jeden Tag zum Frühstück Obst und Joghurt aß, häufte Angie wieder einmal fröhlich einen Berg Toast, Eier und Bratwürstchen auf ihrem Teller auf.
»Das bringt mich in Schwung«, erklärte sie mir gutgelaunt.
Ich muss gestehen, dass Angies Art aus irgendeinem Grund unwiderstehlich war. Sie tat alles mit Begeisterung, egal, ob sie aß oder arbeitete. Im Vergleich zu ihr war ich eine totale Langweilerin, bei der alles wie in Zeitlupe geschah.
Als ich nach dem Frühstück durch die Eingangshalle lief, winkte mich die Empfangsdame zu sich heran.
»Hier ist Post für Sie.« Sie schob mir die Briefumschläge hin, ohne mich dabei wenigstens anzusehen. Vielleicht hatte sie ja an dem Morgen jeder Form von Höflichkeit entsagt.
Hari hatte mir die Post aus dem Büro geschickt. Die Universität von Warwick wollte, dass ich zu ihren Studenten über die klinische Behandlung von Gewaltpatienten sprach, und Astra Zeneca stellte in einem Werbeschreiben eine neue Generation angsthemmender Medikamente vor. Ohne Nebenwirkungen, verkündete das Faltblatt stolz, als hätten sich dadurch alle Ängste der Menschen mit einem Schlag in Wohlgefallen aufgelöst. Den kleinen weißen Umschlag ganz zuunterst hätte ich beinahe übersehen. Dieses Mal jedoch war ich so schlau, ihn nicht zu öffnen, und ich hielt ihn vorsichtig wie eine defekte Granate in der Hand. Angie stand neben der Tür und plauderte mit Alvarez, blieb aber dort stehen, als er zu mir herüberkam. Vielleicht erhoffte sie dafür ein zusätzliches Lob von Burns.
Alvarez wirkte erheblich munterer als am Abend zuvor. Entweder der Lauf oder unser ausufernder Flirt hatten ihm sichtlich gutgetan.
Zur
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