Im Totengarten (German Edition)
darauf an. »Du solltest nicht alleine sein. Ich schlafe auf dem Sofa, wenn du willst.«
»Da würdest du doch keine fünf Minuten bleiben.«
»Also bitte.« Er blickte mich lächelnd an. »Zehn bekäme ich ganz sicher hin.«
»Ich sollte besser gehen.«
Er legte eine Hand an meine Taille, und mit einem Mal fiel es mir deutlich schwerer, meine Vorsätze einzuhalten. Mein Instinkt riet mir, einfach den Mund zu halten und mich von ihm dazu überreden zu lassen, tatsächlich zu bleiben.
Seine dunkelblauen Augen sahen mich durchdringend an, und sein Lächeln schwand. »Du solltest zwei Sachen bedenken, Alice, bevor du eine endgültige Entscheidung triffst.«
»Und die wären?«
»Erstens bin ich im Bett unübertroffen.«
»Das hast du bereits unter Beweis gestellt. Aber darum geht es nicht.«
»Und ich habe mich unsterblich in dich verliebt.«
Darauf fiel mir keine Antwort ein, und so blickte ich zu Boden und wandte mich zum Gehen.
»So leicht kommst du mir nicht davon.«
Zum allerersten Mal bekam er diesen seltsamen Gesichtsausdruck, diese verkniffene Miene des Besessenen, obwohl er vielleicht auch nur ein schlechter Verlierer war. Er baute sich direkt vor mir auf, und einen Augenblick lang hatte ich die Befürchtung, er ließe mich nicht einfach gehen.
»Überleg es dir noch mal, Alice. Das ist doch total verrückt.«
»Ich muss gehen, Sean. Du stehst mir im Weg.«
Einer seiner Wangenmuskeln zuckte. »Ich könnte dich zwingen hierzubleiben.«
»Mach dich doch nicht lächerlich.«
»So machst du es immer.« Er verzog verächtlich das Gesicht. »Erst sagst du nein, dann sagst du ja, als wäre ich nicht gut genug für dich.«
»Das ist nicht wahr.« Ich atmete tief ein. »Es ist vorbei, Sean. Tut mir leid, aber es ist vorbei.«
Die Endgültigkeit, mit der ich sprach, zwang ihn in die Wirklichkeit zurück. Er ließ den Kopf hängen und machte einen Schritt zurück. In der Tür drückte er mir noch schnell eine Plastiktüte in die Hand, die all das enthielt, was ich jemals bei ihm zurückgelassen hatte.
Es war eine unglaubliche Erleichterung für mich, als ich endlich auf die Straße trat. Zum ersten Mal seit Monaten bekam ich wieder richtig Luft. Ich stand auf dem Bürgersteig und sah mir den Tüteninhalt an. Dafür, dass ich seit fast einem Vierteljahr regelmäßig bei ihm ein und aus gegangen war, nahm er sich ziemlich bescheiden aus: ein silbernes Armband mit einem zerbrochenen Verschluss, ein Päckchen Antibabypillen, ein weißes Seidenunterhemd und eine Geburtstagskarte von Sean, in der er mir eine Parisreise versprach. Ich warf die Tüte in den nächsten Mülleimer und schwang mich auf mein Rad.
Für die Fahrt nach Hause brauchte ich noch nicht mal zehn Minuten, doch aus irgendeinem Grund kam ich vollkommen erschöpft dort an. Ich wollte nur noch in meine Wohnung und in mein Bad stolpern, doch als ich in meinem Stockwerk um die Ecke biegen wollte, hörte ich dort ein Geräusch. Das Licht in der Etage funktionierte nicht, aber es stand eindeutig jemand vor meiner Tür. Ich hielt den Atem an und machte lautlos auf dem Absatz kehrt.
4
»Al, bist du das?«
Diese Stimme ließ mich innehalten. Es war Lola. Ihre Stimme hätte ich immer und überall erkannt. Sie hatte sich nicht verändert, seit wir zusammen in der Schule gewesen waren, rauchig und ein wenig atemlos, als hätte sie gerade ein Wochenende mit dem attraktivsten Mann der Welt im Bett verbracht. Sie trug einen Rucksack, der aus allen Nähten platzte, und nach einer innigen Umarmung half ich ihr, einen enormen roten Koffer in den Flur zu rollen.
»Himmel, Lola, was ist passiert?«
»Ich werde dir die ganze tragische Geschichte erzählen, während wir die hier austrinken.« Sie drückte mir zwei Flaschen Rotwein in die Hand. Wie immer waren wieder einmal Monate vergangen, ehe Lola plötzlich aus heiterem Himmel auf meiner Schwelle stand. Sie brachte jedes Mal Geschenke mit, und dann war alles so wie früher.
Auch nach zwei Gläsern Beaujolais zog sie noch über ihren ätzenden Vermieter her.
»Dieser verfluchte Dreckskerl.« Sie wickelte sich eine lange, rötlich braune Strähne um den Finger. »Kaum bin ich mal mit der Miete im Verzug, und was sagt er?«
»Ich kann es mir denken.«
»Sei ein bisschen nett zu mir, dann vergessen wir die Miete. Wie ein verdammter Pantomime, der den Schurken spielt.« Sie schüttelte angewidert den Kopf. »Fehlten nur noch ein schwarzer Umhang und ein falscher Schnauzbart.«
»Und was hast du
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