Im Totengarten (German Edition)
Hand fühlte sich kräftig und solide an. Obwohl er im Grunde nicht solche Muskeln haben dürfte, da er angeblich allergisch gegen Fitnessstudios war.
»Jedes Mal, wenn ich dich sehe, fasst du mich einfach irgendwann an.«
»Irgendjemand muss das schließlich tun.«
Die vier Gläser Bier waren mir eindeutig zu Kopf gestiegen. Als ich aufstand, hatte ich das Gefühl, der Raum würde von einem Erdbeben erschüttert, das nur ich zu bemerken schien. Doch wenigstens hatte sich der Nebel gelichtet, und ich konnte endlich wieder die in der Capital Wharf vor Anker liegenden Barkassen sehen.
Als wir wieder auf die Straße traten, gaben mir die Kälte und die frische Luft den Rest. Ich fühlte mich, als hätte ich den ganzen Tag in einem Pub gesessen und mir dort zahllose Schnäpse hinter die Binde gekippt.
»Alles in Ordnung?« Die Stimme meines Begleiters drang wie aus weiter Ferne an mein Ohr.
»Ich habe seit heute früh nichts mehr gegessen und bin deswegen ein bisschen schwindelig, sonst nichts.«
»Dann halt dich an mir fest.«
Er legte einen Arm um meine Taille, und zum ersten Mal bekam ich die Gelegenheit, ihn mir genauer anzusehen. Mit dem dichten schwarzen Haar, das ihm in die Augen fiel, der römischen Nase und dem vollen Mund sah er im Profil tatsächlich wie ein spanischer Filmstar aus. Ohne nachzudenken, drängte ich mich an ihn, und er riss erstaunt die Augen auf, als hätte er gedacht, es wäre stets an ihm, den ersten Schritt zu tun. Doch es dauerte nicht lange, bis er meinen Kuss erwiderte und eine Hand unter den Stoff von meinem Mantel schob, während seine andere kalt in meinem Nacken lag.
»Komm mit zu mir«, lud ich ihn ein.
»Du bist betrunken, Alice«, antwortete er. »Du solltest etwas essen und dann schlafen gehen.«
Ohne mich noch einmal zu berühren, brachte er mich nach Hause, und als er sich zu mir herunterbeugte, um mir einen Abschiedskuss zu geben, konnte ich in der Dunkelheit sein Gesicht nicht deutlich sehen.
»Du könntest es dir auch noch einmal anders überlegen«, raunte ich ihm zu.
»Glaub mir, das würde ich liebend gern.« Er küsste mich erneut. »Aber ich möchte, dass du dich am nächsten Morgen noch daran erinnerst, was geschehen ist.«
Er schob eine Strähne meines Haars hinter mein Ohr, und da er mit sich zu ringen schien, wünschte ich ihm eilig eine gute Nacht, und er stapfte davon, ohne sich auch nur noch einmal nach mir umzudrehen.
Die Haustür weigerte sich standhaft, hinter mir ins Schloss zu fallen, obwohl ich wie eine Verrückte daran zog. Der Mechanismus war kaputt, deshalb ließ ich sie am Ende offen stehen und schleppte mich die Treppe hinauf, bis ich endlich vor der Tür vor meiner Wohnung stand. Wenn Lola da gewesen wäre, hätte ich ihr alles ausführlich erzählen können, aber sie würde die ganze Nacht mit ihrem Liebsten tanzen, bis sie irgendwann ermattet neben ihm in seine Koje fiel.
Ich ließ mich auf einen der harten Küchenstühle sinken und kämpfte gegen den Schwindel an. Vielleicht wäre es an der Zeit für ein ernsthaftes Gespräch. Schließlich schlurfte ich ins Bad, wo ich meine abendliche Reinigung entschlossener als sonst in Angriff nahm. Ich wusch mein Gesicht mit Wasser und Seife und schrubbte in der Hoffnung unbarmherzig meine Zähne, dass die Sauberkeit gegen meine Verwirrung half. Trotzdem dachte ich auch weiterhin die ganze Zeit an Alvarez. Er war da, sobald ich meine Augen schloss, ein Macho, wie er im Buche stand, mit permanent ungläubig hochgezogenen Brauen. Mir war klar, ich sollte ihn gleich nach dem Aufstehen anrufen und ihm erklären, dass mein Verhalten falsch gewesen war, doch ich dachte nur daran, mir neue Unterwäsche zuzulegen und die Möglichkeiten zu erforschen, ihn dazu zu bringen, mich endlich einmal mit einem Lächeln anzusehen.
Irgendetwas weckte mich, als es noch dunkel war. Vielleicht waren es einfach die Reste eines Alptraums, doch ich bildete mir ein, ich hätte ein Geräusch gehört. Und dann hörte ich es noch einmal, viel deutlicher. Ein seltsam leises Schlurfen. Etwas völlig anderes als der Krach, den Lola stets verursachte, wenn sie nach Hause kam. Sie machte immer alle Lichter an und veranstaltete einen Heidenlärm, weil sie vollkommen vergaß, dass ich wahrscheinlich schlief.
Irgendjemand war in meiner Wohnung und plante den nächsten Schritt. Aus irgendeinem Grund stieg nicht die geringste Panik in mir auf. Vielleicht ist das einfach so, wenn wirklich Gefahr besteht. Ich tastete nach meinem
Weitere Kostenlose Bücher