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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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fragte mich, ob sie überhaupt zu irgendwelchen menschlichen Gefühlen fähig war.

24
    Als ich am nächsten Tag erwachte, tauchte sofort wieder Marie Bensons eigenartiges Lächeln vor mir auf. Hinter dem Hotelfenster sah London geradezu absurd einladend aus. Es war erst kurz nach sechs, doch der Arbeitstag hatte bereits begonnen, und Dutzende von Menschen eilten durch die Straße in Richtung des Bahnhofs Waterloo. Putzfrauen, Briefträger und U-Bahn-Fahrer schleppten sich zur nächsten anstrengenden neunstündigen Schicht, doch in diesem Augenblick hätte ich mit Freuden mit jedem von ihnen getauscht. Ich strich mit der Hand über den Fensterrahmen. Er war so gut abgedichtet, dass nicht mal der allerkleinste Luftzug in das Zimmer drang. Das an mein Schlafzimmer angrenzende Bad war schlecht beleuchtet und außerdem fensterlos. Also holte ich tief Luft, zwängte mich in die winzige Duschkabine, und bereits nach wenigen Sekunden war die Atemluft im Raum durch heißen Dampf ersetzt. Ich trocknete mich eilig wieder ab und betätigte die Türklinke, doch nichts geschah. Die Tür schepperte im Rahmen, öffnete sich aber nicht. Mein Herz fing an zu rasen, und ich fragte mich, wie lange es wohl dauerte, bis man an Sauerstoffmangel starb. Ich zerrte verzweifelt weiter an der Tür, und als sie endlich aufsprang, stolperte ich keuchend in mein Schlafzimmer zurück. Sofort kam die vertraute Scham in meinem Innern auf, denn mal wieder hatte ich nicht geschafft, meine Ängste zu beherrschen. Hätte ich schon Schuhe angehabt, hätte ich wahrscheinlich meinen Frust mit ein paar gezielten Tritten an einer der makellos gestrichenen Wände ausgelassen, barfuß aber hätte ich mich dabei wahrscheinlich auch noch zu allem Überfluss verletzt.
    Als ich aus meinem Zimmer kam, saß Angie gemütlich mit einem Becher Kaffee auf der Couch. Ich versuchte, so zu tun, als würde ich mich freuen, sie zu sehen, aber mein Enthusiasmus hielt nicht lange an. Während unseres Frühstücks unterhielt sie mich mit einem Monolog über den menschlichen Bewusstseinsstrom, und ich überlegte, ob die Taktik, die ich bisher anwandte, vielleicht falsch war. Vielleicht entstünde ja ein Gleichgewicht, wenn ich auch anfinge, wild draufloszuplappern, und am Ende wären wir dann beide still.
    »Ich muss kurz telefonieren«, sagte ich und verschwand wieder im Nebenraum.
    Die Stimme der Schwester, die ich an den Apparat bekam, klang kühl und fast ein wenig distanziert. Als ich mich nach Will erkundigte, blätterte sie offenbar in seinen Unterlagen, denn ich hörte erst mal nur das Rascheln von Papier. Es ging ihm noch genauso wie am Tag zuvor, klärte sie mich schließlich auf. Die Beruhigungsmittel blieben praktisch wirkungslos. Andere Patienten hatten sich bereits über den Lärm, den er verursachte, beschwert, aber er hatte sich anscheinend einfach nicht in der Gewalt.
    »Vielleicht reichen die Schmerzmittel einfach nicht aus«, wandte ich ein, und nach einem Augenblick empörten Schweigens wies sie mich mit barscher Stimme an, frühestens in einer Stunde aufzutauchen, weil es ihnen gerade erst gelungen war, ihn so weit zu sedieren, dass er eingeschlafen war.
    Als ich wieder ins Zimmer kam, fiel Angie gerade über einen frischen Berg aus Toastbrot her. Keine Ahnung, wie es ihr gelang, so dünn zu bleiben, ohne dass sie ständig in Bewegung war. Offensichtlich hatte sie dieselbe zwanghafte Beziehung zur Nahrungsaufnahme wie zur Konversation. Freud hätte wahrscheinlich eine fortgeschrittene Oralfixiertheit bei ihr diagnostiziert. Entweder sprach sie, oder sie nahm Kaffee oder Toastbrot zu sich.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie.
    »Es ging mir schon besser.«
    »Ach.« Sie konzentrierte sich schon auf die nächste Scheibe dick mit Butter und mit Marmelade bestrichenen Brots.
    »Ich muss zu meinem Bruder ins Krankenhaus, wenn Sie mit Essen fertig sind.«
    »Ich fürchte, das geht leider nicht. Wir bleiben bis elf hier im Hotel.« Sie schob sich den nächsten Bissen in den Mund und kaute energisch darauf herum. »Eben kam ein Anruf vom Revier.«
    Ich zwang mich, tief durchzuatmen, und erklärte möglichst ruhig: »Aber ich muss ihn sehen. Er ist krank.«
    »Wir können ihn ja später noch besuchen«, schlug sie mit einem entschuldigenden Schulterzucken vor.
    Ich stand auf. »Dann mache ich ein kurzes Läufchen, während wir hier warten.«
    »Das machen Sie ganz sicher nicht«, schnauzte sie mich an. Plötzlich wirkte ihr Gesicht nicht mehr wie das eines netten

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