Im Visier des Verlangens
nicht die Worte, die sie innehalten ließen. Es war die Tatsache, dass Lord Blakely diese Feststellung gemacht hatte. Ein Mann, der ihr stets als das Gegenteil von einem Idioten erschienen war. Einschüchternd überlegen und sehr intelligent.
Stehen zu bleiben, war keine gute Idee gewesen. Ihre Pflichten als Gastgeberin hatten sie in den letzten Stunden auf Trab gehalten. Nach der glücklichen Wende, die zur Einstellung des Verfahrens gegen sie geführt hatte, fühlte sie sich ausgelaugt und zerschlagen, kümmerte sich aber darum, dass Louisa und ihr Säugling in einer Gästesuite untergebracht wurden. Ned hatte das Bewusstsein nicht wiedererlangt, als der Arzt in ihrem Beisein den Stiefelschaft aufschnitt und den Beinbruch diagnostizierte.
Nun war Kate im Begriff, Lord und Lady Blakely davon zu unterrichten, die im Salon auf Nachricht warteten. Sie hatte keineswegs die Absicht gehabt, ihre Unterhaltung zu belauschen, wollte sich auch nicht gegen die Wand lehnen, da die Erschöpfung sie zu übermannen drohte. Aber nun, da sie stehen geblieben war, konnte sie sich nicht dazu aufraffen, den nächsten Schritt zu tun.
„Du bist nicht der Einzige, fürchte ich.“ Die müde Stimme gehörte Lady Blakely.
Lord und Lady Blakely waren Kate seit jeher einigermaßen rätselhaft erschienen. In Lord Blakely sah sie einen gefühlskalten Aristokraten, einen scharfen Beobachter, der nicht mit Kritik an anderen sparte. Sie hatte stets den Eindruck gehabt, er habe zunächst überlegt, ob Kate eine ernst zu nehmende Person sei, und nachdem er diese Frage abschlägig beschieden hatte, ignorierte er sie geflissentlich.
Lady Blakely hingegen hatte anfangs einige Versuche unternommen, Kates Freundschaft zu gewinnen, die sie jedoch abgelehnt hatte.
„Sie kann dich nicht leiden“, erklärte Lord Blakely. „Und ich habe sie immer für ein leichtfertiges oberflächliches Ding gehalten.“
Kate überlief es heiß und kalt. Die beiden redeten über sie. Sie müsste sich bemerkbar machen, über die Schwelle stolpern oder sich wenigstens vernehmlich räuspern.
Aber sie tat nichts dergleichen, hielt stattdessen den Atem an.
„Es kümmert mich wenig, ob man mich leiden kann oder nicht“, sagte Lady Blakely belustigt. „Du konntest mich anfangs auch nicht ausstehen.“
„Völliger Unsinn.“ Es entstand eine Pause. „Wenn wir davon gewusst hätten und sie das Gefühl gehabt hätte, sich vertrauensvoll an uns wenden zu können, wäre das alles nicht passiert. Neds Beinbruch. Die Klage gegen sie, ein Verbrechen begangen zu haben, noch dazu vor dem Bezirksgericht. Gar nicht auszudenken, wie sie in den Schmierblättern verunglimpft wird. Mein Gott, sie ist eine Carhart. Ich bin für sie verantwortlich. Und ich habe das alles geschehen lassen. Nur weil ich so dumm war, sie nach dem äußeren Schein zu beurteilen.“
Kate war immer von aller Welt nach ihrem Aussehen beurteilt worden. Selbst aus seinen nüchternen Worten hörte sie nun seine verborgene Anerkennung heraus und war gerührt. Sie hatte Blakely in einem langen Brief ausführlich erklärt, was sie getan hatte, und das konnte sie nicht mehr zurücknehmen.
„Sie ist also gar nicht so flatterhaft, wie es den Anschein hat, wie? Ich entsinne mich, dass jemand so etwas verlauten ließ …“
„Sei nicht so hämisch“, brummte Blakely. „Das ist wenig hilfreich.“
„Und, hilft dir das?“
Keine Antwort. Kate, die nicht der Anlass für einen Ehezwistsein wollte, spähte vorsichtig in den Salon. Lord und Lady Blakely saßen nebeneinander auf dem Diwan. Der Marquess hatte den Kopf an ihre Schulter gelehnt, und sie kraulte ihm zärtlich das Haar. Beide wirkten abgespannt, müde und bekümmert.
Dennoch versetzte ihr diese spürbare Vertraulichkeit einer gemeinsam getragenen Sorgenlast einen Stich ins Herz. So sah also eine glückliche Ehe aus, auch in schwierigen Situationen. Glücklichsein bedeutete wohl nicht nur immerwährende Harmonie, sondern gemeinsam Bürden zu tragen.
Hilft dir das? Drei Worte, die sie nie wagen würde, an Ned zu richten, ohne zu riskieren, dass er sich verkrampfte und wortlos das Zimmer verließ. Auch mit einem gebrochenen Bein. Nach diesem Vertrauen ihres Ehemanns jedoch sehnte sie sich. Sie wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte, er aber hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass er sie nicht so nahe an sich heranlassen wollte, um ihm Unterstützung zu geben.
Lautlos zog Kate sich zurück und huschte den Flur entlang, ohne wirklich zu
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