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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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begreifen, wieso sie dieses Bild so tief aufwühlte. Sie wusste nur, dass sie unter der Last ihrer Bürde zusammenbrechen würde, wenn sie den Salon jetzt betrat.
    ‚Wenn du fällst‘, hatte Ned einmal gesagt, ‚bin ich da und fange dich auf.‘
    Und sie wusste, dass er es ernst gemeint hatte. Er war stark und zuverlässig. Sie konnte sich an seine Schulter lehnen, und er würde ihr Halt geben, auch mit einem gebrochenen Bein.
    Die Gewissheit, dass er ihr Halt gab, dieses vorbehaltlose Vertrauen war die Voraussetzung für Liebe. Liebe vermochte Misstrauen in Furchtlosigkeit und Schwäche in Kraft zu verwandeln. Sie konnte ihm all ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten anvertrauen und eine tiefe Kraft daraus schöpfen.
    Die Erkenntnis stimmte sie wehmütig. Das Bild der Vertrautheit zwischen dem Marquess und seiner Gemahlin brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Lord Blakely hatte keinerleiBedenken, sich an die Schulter seiner Frau zu lehnen.
    Ned kannte all ihre Schwächen und Ängste. Er gab ihr Halt, wenn sie schwankte. Er hatte ihr Trost und Kraft zugeflüstert, die sie dringend benötigt hatte. Aber er weigerte sich, zuzulassen, dass sie ihm ihrerseits Kraft und Trost gab.
    Er hatte Louisa einmal geraten, sich ihre Wünsche präzise vorzustellen. Und Kate wusste die Antwort, wenn er ihr die gleiche Frage stellen würde. Sie wollte ihn . Sie wollte, dass er tatsächlich von ihrer Stärke überzeugt war, wie er einmal behauptet hatte. Sie wollte sein Vertrauen. Seine Liebe. Sie wollte ihre Hoffnungen nähren, eine glückliche Ehe mit ihm führen zu können, ohne Angst haben zu müssen, dass er sie erneut verletzte.
    Sie war lange genug gezwungen gewesen, das Leben sachlich und nüchtern anzugehen. Nun wollte sie ihre Ehe und ihren Ehemann nicht mehr nüchtern betrachten.
    Kate straffte die Schultern und stieg die Treppe hinauf. Die Tür zu seinem Zimmer stand einen Spalt offen. Sie verharrte kurz. Der Stille entnahm sie, dass der Arzt gegangen war. Entschlossen trat sie ein.
    Ned schien sie nicht gehört zu haben, da er sich ihr nicht zuwandte.
    Aufrecht saß er im Bett, das geschiente Bein von sich gestreckt. Nicht einmal nach den ausgestandenen Strapazen und Schmerzen wollte er einen Anflug von Schwäche zeigen. Kate wurde von einer Welle des Mitgefühls erfasst.
    Statt ihm ihren Gefühlsaufruhr zu zeigen, klopfte sie leicht gegen die Türfüllung. Erst jetzt schien er ihre Gegenwart wahrzunehmen und blickte hoch. Seine Lippen waren aufeinandergepresst, seine Pupillen geweitet, die einzigen Zeichen seiner Schmerzen. Er bewegte sich, als mache er Anstalten …
    „Ned“, sagte sie mit belegter Stimme, „du hast doch nicht etwa vor, aufzustehen? Das wäre nicht sehr klug.“
    Im Begriff, die Beine aus dem Bett zu schwingen, hielt er inne. „Hmm“, brummte er.
    Kate seufzte. „Und lass mich raten. Du hast dich geweigert, Laudanum zu nehmen.“
    Als er eine Grimasse schnitt, statt sie unter der Wirkung der Droge verträumt anzulächeln, genügte ihr das als Antwort.
    „Es ist kalt hier drin“, sagte sie. „Möchtest du, dass ich …“
    „Nein.“
    Ach ja. Sie hatte es schon wieder vergessen.
    „Auf Anweisung des Arztes wirst du die nächsten Wochen auf Krücken gehen müssen. Du könntest es dir wenigstens bequem machen. Kann ich dir etwas bringen … eine Tasse Tee? Ein Buch?“
    „Nein.“
    „Kann ich mich wenigstens zu dir setzen und dir Gesellschaft leisten? Gibt es denn gar nichts, was ich für dich tun kann?“
    Er lächelte angestrengt. „Nichts, Kate. Mach dir um mich keine Sorgen.“
    Kate trat ans Bett. Er lächelte, aber seine Worte waren eine Zurückweisung wie eh und je. Als er sich halb besinnungslos vor Schmerzen auf den Beinen gehalten hatte, hatte er jede Hilfe abgelehnt. Dieser Starrsinn war als irrationale Reaktion auf seine unerträglichen Schmerzen zu erklären. Aber nun, da er wieder bei Sinnen war, verhielt er sich genauso, nur in etwas höflicherer Form.
    „Ned, du wirst einige Wochen in deiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sein, vielleicht sogar Monate. Warum lässt du dich nicht ein wenig von mir umsorgen. Nur ein wenig.“
    Er sagte nichts, richtete sich lediglich noch mehr auf.
    „Du hast doch vor, heute im Bett zu bleiben, nicht wahr?“
    Wieder keine Antwort. Jedenfalls keine verbale Antwort. Aber seine steife Haltung sprach deutlich von Ablehnung. Sie wartete, bis er sie endlich ansah.
    „Aber Harcroft.“
    Nur dieser Name, und sie wusste, was er meinte. Wenn sie

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