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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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müde. Und deine Hose ist zerrissen. Hat dein Pferd dich abgeworfen?“
    „Ich glaube, er hat sich den Fuß verstaucht“, sagte Louisa. „Er hinkt.“
    Sie redeten über ihn hinweg, als sei er gar nicht vorhanden. In einer anderen Welt, an einem anderen Ort hätte ihn das gestört. Aber Ned hatte das seltsame Gefühl, nicht wirklich vorhanden zu sein. Ziemlich schlau von den beiden, das zu erkennen.
    Kate setzte sich neben ihn.
    „Du hast dir den Knöchel verstaucht?“, fragte sie. „Und wieso, in Gottes Namen, stehst du dann die ganze Zeit herum? Willst du damit etwa deine Männlichkeit unter Beweis stellen?“ Ihre streichelnden Finger an seinem Nacken fühlten sich wesentlich sanfter an, als ihre Worte klangen.
    Er überlegte, ob er ihr erklären sollte, dass er sich nicht den Knöchel verstaucht hatte. Aber irgendwie ahnte er, dass er ihr die Wahrheit nicht sonderlich schmackhaft machen könnte.
    „Wenn ich das schaffe“, erklärte er ihr ernsthaft, „dann schaffe ich alles. Und wenn ich alles schaffe, dann …“
    Dann musste er nie wieder befürchten, in einem winzigen Ruderboot auf offener See zu treiben.
    Aber die ganze Geschichte kannte sie nicht. „Nun ja, du kannst nicht alles schaffen“, erklärte sie ihm, als hätte logisches Denken irgendeine Bedeutung. „Und du kannst nicht mit einem verstauchten Knöchel gehen. Dickkopf.“ Sie strich ihm das Haar aus der Stirn. Bevor er ihr entgegenhalten konnte, dass er es geschafft hatte, tätschelte sie ihm den Hinterkopf. „Weil ich es nicht zulasse.“
    Sie lächelte. Er wollte ihr Lächeln erwidern, schaffte aber nur, den Mund zu einer hilflosen Grimasse zu verziehen.
    „Was ist mit dir?“, fragte sie. „Komm. Wir bringen dich nach Hause und holen einen Arzt. Blakely, Sie müssen mir helfen.“
    „Nein“, protestierte Ned. „Nein … ich brauche keine Hilfe. Nicht von Gareth.“
    „Ned“, Jenny beugte sich über ihn „willst du, dass ich dir …“
    „Nicht du, von dir schon gar nicht, Jenny. Ich schaffe es allein.“
    „Er war schon während der ganzen Fahrt so aufsässig“, stellte Louisa fest. „Ich wundere mich, wie er es bis in den Gerichtssaal geschafft hat.“
    „Ein gefütterter Reitstiefel ist so gut wie eine Beinschiene.“ Ned schloss die brennenden Augen, aber der Schmerz wollte nicht weichen. „Und hier geht es nicht um mich und mein dämliches gebrochenes Bein. Das heilt wieder. Wir müssen uns um Lady Harcroft kümmern.“
    „Gebrochenes Bein?“ Kates Stimme klang bedrohlich in seinen Ohren. „Was meinst du mit gebrochenes Bein ? Ich dachte, du hast dir den Knöchel verstaucht.“
    „Oh“, meinte Ned verlegen. „Habe ich das gesagt?“
    Ja, er hatte es gesagt.
    Ned wusste nicht einmal, wie er in die Kutsche gekommen war. Auf der Fahrt bemutterte Kate ihn wie eine Glucke, zog bei jeder Kurve den Atem scharf ein, als müsse sie seine Schmerzen ertragen. Als sei er ein verdammter Schwächling, der bei der geringsten Verletzung losheulte.
    Er trieb bereits in einem undurchdringlich dichten Nebel,das lächerliche Schaukeln konnte ihm nichts mehr anhaben. Beim Aussteigen war Kate an seiner Seite. Er brauchte keine Stütze. Wenn er das schaffte, schaffte er alles. Er klammerte sich an diesen Gedanken wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm, um nicht wie ein Mädchen in Ohnmacht zu sinken.
    Wenn er das zu Ende führte, wenn er Lady Harcroft in Sicherheit und Kate nach Hause brachte, wenn er die Besorgnisse seines Cousins beschwichtigen konnte und eine Lösung für den Hunger und die Kriege in dieser Welt fand, dann würde er wissen, dass er gut genug war.
    „Kate“, krächzte er heiser, als sie versuchte, ihre Schulter unter seine Achsel zu schieben, „lass mich los.“
    „Blakely.“ Kates Stimme klang weit entfernt. „Helfen Sie mir.“
    „Ich brauche keine Hilfe“, beharrte Ned störrisch, seiner Meinung nach völlig zu Recht. „Ich kann das allein. Ich kann alleine auf meinen zwei Füßen stehen.“
    Doch dann waren Hände an seinem Rücken, Arme umschlangen ihn, packten zu, hoben ihn hoch, und er fürchtete, völlig das Bewusstsein zu verlieren.
    „Nein“, protestierte er schwach. „Stellt mich auf die Füße.“
    „Sei kein Idiot, Ned.“
    Das waren die letzten Worte, die er hörte, und er wusste nicht einmal, von wem sie kamen.

22. KAPITEL
    I ch komme mir vor wie ein Idiot.“
    Kate verharrte im Flur vor der offenen Tür zum Salon und fühlte sich wie ein Eindringling in ihrem eigenen Haus. Es waren

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