Im Visier des Verlangens
billigere Ware für weniger begüterte Kunden. Feste, strapazierfähige Baumwolle und dicke Wollstoffe in gedeckten Farben. Ganz vorne lagen Bänder aus schimmerndem Satin und kostbarer Spitze. In Glasbehältern glitzerten Knöpfe aus Perlen und bunten Schmucksteinen jeder Größe.
Kate hatte keinen Blick für all den Flitter, klopfte sich den Schnee von den Schultern und hing ihren Grübeleien nach.
Vor Neds Rückkehr hatte sie geglaubt, ihre Gefühle für ihn würden mit der Zeit verblassen. Nun beneidete sie Ehepaare, die damit zurechtkamen, nebeneinanderher zu leben, ohne Gefühle füreinander zu empfinden. Sie wünschte sich, mit geschlossenen Augen in eine Pusteblume zu blasen und all ihre Träume und Hoffnungen vom Wind forttragen und verwehen zu lassen.
Um sich von solch rührseligen Gedanken abzulenken, die eigentlich nicht zu ihr passten, hatte sie beschlossen, einen Einkaufsbummel zu machen. Sie, die Tochter eines Dukes und die Gemahlin eines wohlhabenden Gentlemans, war nach dem Skandal Gesprächsstoff in den Klatschkolumnen der Zeitungen,die von durchgefrorenen rotnasigen Gassenjungen an jeder Straßenecke angeboten wurden. Sie stand im Lichte der Öffentlichkeit und machte einen Einkaufsbummel.
Mochte sie sich noch so sehr wünschen, ihre Beziehung zu Ned wäre anders … Es hatte keinen Sinn, über Dinge zu lamentieren, die nicht zu ändern waren. Also machte sie einen Einkaufsbummel. Allerdings nicht in diesem Geschäft. Sie hatte keine Verwendung für verführerische Seidennegligés.
Kate hob das Kinn und wollte weitergehen, auf der Suche nach einer frivolen kecken Hutkreation, als sie noch einen Blick in das Schaufenster warf, angezogen von einem Stoff, den sie nur flüchtig gestreift hatte.
Keine schimmernde Seide. Nichts Transparentes. Kein Stoff, den eine Dame als Nachthemd tragen würde. Strapazierfähig, praktisch. Warm.
Es war ein Fehler, diesen Stoff zu übersehen. Die Hoffnung keimte immer noch in ihr, schwach zwar, aber dennoch.
Ihr stand der Sinn nicht nach modischen Hüten und Seidenpumps.
Nein, sie brauchte ein Nachthemd.
Ned lag hellwach im Bett, sein Atem hauchte Wölkchen in die kalte Nachtluft. Seine Gedanken drehten sich um eine ausweglose Situation. Im Moment hatte Louisa nichts zu befürchten, aber über kurz oder lang würde Harcroft durch Gerichtsbeschluss die Rückkehr seiner Ehefrau erzwingen. Es bestand zwar durchaus die Möglichkeit, ihre Auslieferung wegen ehelicher Grausamkeit zu verhindern, allerdings würde kein Gericht der Welt Louisa das Sorgerecht für ihr Kind übertragen.
Diese Gedanken an die unüberwindlichen Hürden des Gesetzes dienten Ned wenigstens als Ablenkung von seinen Schmerzen und von seinem Gespräch mit Kate. Er hatte ihr nicht alles sagen wollen. Aber nach all dem, was sie in den letzten Wochen gemeinsam durchgestanden hatten, verdiente siezu wissen, wer er wirklich war. Und warum er sich nicht die geringste Unachtsamkeit leisten durfte. Die Kälte im Zimmer half ihm dabei.
Er wollte lieber an Louisa denken. So wenig ihm der Gedanke auch behagte, er sollte Satisfaktion von Harcroft fordern – mit dessen Tod wären Louisas Probleme gelöst. Dagegen sprach allerdings die Tatsache, dass Ned kein Meisterschütze war und ein Degengefecht mit dem gebrochenen Bein außer Frage stand. Im Übrigen glaubte Ned nicht, den Mann kaltblütig töten zu können, was immer der Schurke auch verbrochen hatte.
Es gab noch einen anderen Plan … Er könnte persönlich eine Klage gegen Harcroft führen. Aber wie hoch wären seine Chancen?
Mitten in seinen Grübeleien schwang die Verbindungstür zum Nebenzimmer auf. Er hörte es nicht. Lediglich der Luftzug machte ihn auf ihre Gegenwart aufmerksam. Unbeholfen richtete er sich auf die Ellbogen gestützt zum Sitzen auf. Ein warmer Hauch wehte aus ihrem Zimmer.
Vielleicht strahlte auch Kate diese Wärme aus. Sie trug ein hochgeschlossenes Nachthemd aus dickem Flanell, dessen lange Ärmel ihre Hände halb verdeckten. Weitaus züchtiger als das hauchdünne Gespinst vor wenigen Tagen. Dieses Bild stand ihm allerdings deutlich vor Augen, und er vergaß alles – das zermürbende Pochen in seinem Bein, die lastende Sorge um Louisas Zukunft.
Im silbrigen Mondschein wirkte sie wie eine überirdische Erscheinung, deren Füße kaum den Boden berührten.
Er schluckte. „Kate.“ Das Wort verklang im Nichts. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Sie wollte ihm zur Seite stehen und helfen. Im Grunde genommen ein
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