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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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wie Igelstacheln aus dem Papier ragten, ein unangenehmes Gefühl in ihm.
    „Ich will nichts außer Acht lassen. Irgendein Tagelöhnerkönnte mir einen nützlichen Hinweis geben.“
    Harcrofts Haar leuchtete kupferfarben im rötlichen Schein der Lampe, als er sich über die Karte beugte und die zwei Nadeln fixierte.
    Er hatte etwas von einem Racheengel an sich mit seinem gelockten Haar und der grimmigen Stirnfalte im sonst glatten Gesicht. Abgesehen von seinem Geständnis in jener Nacht vor vielen Jahren, hatte Ned den Freund für absolut untadelig gehalten.
    Neben der Landkarte auf dem Tisch stand ein Glas Sherry, das er wie üblich nicht angerührt hatte. Seufzend lehnte Harcroft sich zurück und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
    „Ich kann dir bei deinen Nachforschungen behilflich sein“, bot Ned an. „Schließlich bin ich hier aufgewachsen und kenne mich in der Gegend aus.“ Er nahm den Stift zur Hand und zeichnete ein Kreuz in die Einbuchtung zwischen zwei Hügeln. „In diesem Tal liegen fünf Bauernkaten in Rufweite voneinander entfernt. Und hier …“
    Harcroft nickte, während Ned, der sich nützlich machen wollte, mit seinen Erläuterungen fortfuhr. Er beschrieb die Gegend im Umkreis eines Tagesrittes von Berkswift und machte Eintragungen. Beginnend im Norden lieferte er nützliche Hinweise im Uhrzeigersinn. Am unteren Ende des Halbkreises angekommen, legte er eine Pause ein, um den Bleistift zu spitzen.
    „Drüben im Westen gibt es nichts Nennenswertes“, fuhr er fort. „Dort liegen lediglich die Schafweiden.“ Er tippte auf die Stelle, wo das alte Leary-Haus lag und dachte an Kates Worte vom Nachmittag. „Hier lebt nur die alte Mrs Alcot.“ Er umkringelte die Stelle mit dem Stift. „Das Haus ist ziemlich abgelegen.“
    Jetzt, da er die grobe Karte genauer in Augenschein nahm, wurde ihm erst bewusst, wie abgelegen das Haus war – eine gute halbe Stunde zu Pferd. Und zu Fuß? Kate musste wesentlich länger gebraucht haben. Über eine Stunde. Und zurückmit dem Umweg, den sie genommen hatte, weitere zwei, vielleicht sogar drei Stunden. Sie könnte es zu der Stelle, wo er sie getroffen hatte, in der von ihr angegebenen Zeit knapp geschafft haben, wenn sie sehr schnell marschiert wäre und sich nur kurz bei Mrs Alcot aufgehalten hätte.
    „Irgendetwas passt nicht zusammen“, murmelte er.
    „Das Gefühl kenne ich.“ Harcroft rieb sich die Augen. „Mir ist, als liege etwas direkt vor meiner Nase, und ich sehe es nur nicht.“
    „Hier steht noch eine Hütte.“ Ned zeigte mit dem Stift ein wenig nach Norden. „Aber die wird nur von Hirten im Frühjahr und Sommer als Notunterkunft benutzt. Sie befindet sich direkt am Fuß dieses Hügels. Wir sind heute daran vorbeigeritten. Um diese Jahreszeit ist da niemand.“
    „Morgen reite ich hin und schau sie mir mal an“, sagte Harcroft, während Ned einen weiteren Kringel machte.
    Er wusste, dass ihre zufällige Begegnung am Nachmittag Kate zu Tode erschreckt hatte. Sie war kreidebleich geworden und hatte schwer geatmet, was nicht nur mit Neds plötzlichem Auftauchen zu erklären war. Seine Fragen hatten sie so sehr aus der Fassung gebracht, dass sie sich nicht anders zu helfen gewusst hatte, als ihn mit dieser lächerlichen Farce eines spontanen Kusses abzulenken. Dabei hatte er sie lediglich nach Mrs Alcot gefragt.
    „Kate war nachmittags bei Mrs Alcot“, sagte Ned gedehnt. „Die Frau hätte ihr gewiss davon berichtet, wenn ihr etwas Ungewöhnliches aufgefallen wäre.“ Er griff nach einer dritten Nadel, um diesen Punkt zu markieren.
    Harcroft hinderte ihn daran. „Nein, das genügt mir nicht.“
    „Kate ist mit Lady Harcroft befreundet. Ich weiß, dass sie uns helfen will.“
    „Ach was. Sie stellt nicht die richtigen Fragen. Ich beobachte deine Frau im Umgang mit Louisa nun schon seit drei Jahren, Ned. Wenn sie etwas anderes im Kopf haben sollte als Mode und Gesellschaftsklatsch, so ist mir das bisher entgangen.“
    Seine abfällige Bemerkung klang wie ein Echo von Kates eigenen Worten am Nachmittag. Wieder verspürte Ned dieses leise Unbehagen. Da war irgendetwas, das er nicht fassen konnte.
    „Wie du meinst“, gab er gelassen zurück. „Ich schaue morgen selbst bei Mrs Alcot vorbei. Mit mir wird sie offener reden als mit einem Fremden. Ich halte es für sinnvoller, wenn du dich dort oben umschaust.“ Ned tippte auf den östlichen Bereich der Karte. „Konzentriere dich auf größere Ortschaften; von den Bewohnern erfährst du

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