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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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nach mir ginge, würde ich alle Frauen prinzipiell für schwachsinnig erklären. Dann könnten sie nicht leichtfertig Gelder verschleudern. Sie könnten nicht damit drohen, Aussagen vor Gericht zu machen. Sie würden ihre Ehemänner nicht verlassen, weil ihnen niemand Zuflucht gewähren würde.“
    Ned konnte und wollte ihn nicht ernst nehmen. Diese hasserfüllte Schimpftirade war seiner Meinung nach auf seinen aufgewühlten Gemütszustand zurückzuführen. Harcroft würde sich besinnen und anders denken, sobald er seine Frau wieder in die Arme schließen konnte.
    Kurz nach ihrer Hochzeit hatte Ned Lady Harcroft kennengelernt. Sie war in sehr jungen Jahren verheiratet worden – mit fünfzehn, wenn er sich recht erinnerte – und war ihm alszartes, schüchternes Wesen im Gedächtnis geblieben, stets darauf bedacht, ihrem Gemahl jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Bis auf die Tage, in denen sie gezwungen war, das Bett wegen eines unerklärlichen Leidens zu hüten.
    Sie war sehr häufig gezwungen gewesen, das Bett zu hüten.
    Aber sobald sie wieder genesen war, hatte sie ihren Gemahl rührend umsorgt. Harcroft musste nur mit den Fingern schnippen, und schon sprang sie auf, um ihm einen Wunsch zu erfüllen. Hatte Harcroft sie erst einmal wohlbehalten wieder, würde er sich daran erinnern, wie fürsorglich seine Frau sich um ihn bemühte.
    Als er jetzt allerdings auf die grob gezeichnete Karte starrte, als könne er Louisa mit seinem finsteren Blick aus ihrem Versteck treiben, keimten Zweifel in Ned auf. Verdammt noch mal, irgendetwas entging ihm. Ihm war, als addiere er lange Zahlenreihen, deren Summe nicht stimmen konnte.
    Wenn er nur den Fehler entdecken würde.
    „Erinnerst du dich an meine Mutter?“, fragte Ned leise. „Und du kennst natürlich die Marchioness of Blakely.“ Ned hätte der Liste gerne seine eigene Frau hinzugefügt, wüsste er nicht um Harcrofts Abneigung gegen sie. „Keine dieser Frauen könntest du mit Fug und Recht schwachsinnig nennen, oder?“
    „Na ja, schon möglich.“ Harcroft wischte Neds Versuch, vernünftig zu argumentieren, mit einer unwirschen Handbewegung beiseite. „Ich gehe zu Bett.“
    Ned wünschte ihm eine gute Nacht und widmete sich wieder dem Studium der Karte. Sein Unbehagen wollte nicht weichen, auch nachdem Harcroft die Tür hinter sich zugezogen hatte. Im schwachen Lampenschein nahmen die Bleistiftmarkierungen sich aus wie unbeholfene Kinderkritzeleien, denen es an Bezügen zur Wahrheit fehlte. Die Zahlenreihen in seinem Kopf hatten immer noch keine stimmende Summe ergeben. Zwei und zwei ergaben bekanntlich vier. Ihm aber war, als erkenne er nur die dunkle Andeutung einer fernen Vier.
    Erst als sein Kopf zu schmerzen begann, gab er es auf, einen Sinn hinter all dem Wirrwarr erkennen zu wollen.
    Ned war unzählige Male an der Schäferhütte vorbeigeritten, einer strohgedeckten Notunterkunft aus Natursteinen und Mörtel, ohne ihr je die geringste Beachtung zu schenken, wozu auch kein Grund bestanden hatte. Gelegentlich nächtigten Schäfer in der Hütte, doch meist stand sie leer. Mit zwölf hatte er sich einmal als Mutprobe hineingewagt und war enttäuscht, in der modrigen winzigen Kammer nicht von Ungeheuern überfallen zu werden. Seitdem hatte er nie wieder an die Hütte gedacht.
    Nun spähte er argwöhnisch zur Hütte hinüber. Seine graue Stute, die seine Unruhe zu spüren schien, begann nervös zu tänzeln. Er war gekommen, um einen flüchtigen Blick ins Innere zu werfen und sie von Harcrofts Liste verdächtiger Orte streichen zu können. Die Hütte bot einen geradezu kitschig anmutenden, idyllischen Anblick in der Morgensonne. Wilder Wein rankte um die verwitterte Tür, aus dem Kamin kringelte sich eine dünne Rauchfahne, bevor sie vom Wind verweht wurde. Die armselige Behausung schien seiner Aufmerksamkeit nicht zu bedürfen.
    Bis auf eine Kleinigkeit. Sie sollte unbewohnt sein, aber jemand hatte Feuer darin gemacht. Dieser Gedanke, gemeinsam mit Kates unerklärlicher Unruhe tags zuvor und Harcrofts seltsamem Verhalten in der Bibliothek …
    Ned schwang sich aus dem Sattel und schlang die Zügel der Stute über einen Pfosten in der Nähe des Eingangs. Es erschien ihm völlig abwegig, dass Harcrofts Verdacht sich bestätigen könnte, seine Frau ausgerechnet hier zu finden, auf Neds Grund und Boden. Wäre diese dünne Rauchfahne nicht gewesen. Möglicherweise hatten hier tatsächlich Banditen Zuflucht gesucht.
    Im Licht dieses sonnigen Herbsttages erschien ihm

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