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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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dem Heimweg habe ich einen kleinen Umweg gemacht.“
    Unverwandt sah er sie an. Vielleicht war es nur Einbildung, aber sie meinte, leisen Argwohn in seinem Blick zu erkennen.
    „Und wenn du es genau wissen willst, ich brauchte etwas Abstand, um nachzudenken. Immerhin hat sich kürzlich einiges in meinem Leben verändert.“
    „Aber die Alcots leben doch im Dorf“, wandte Ned ein.
    „Nicht mehr, nein.“ Kates schlug einen schroffen Ton an, um zu vermeiden, dass er ihre Beklommenheit bemerkte. Irgendwie schienen alle Gespräche zu Louisa zu führen.
    Er zog eine Braue hoch. Kate sah förmlich, wie das Räderwerk seiner Gedanken ratterte, während er seine Schlussfolgerungen zog. Hatte er sie tatsächlich in der Schäferhütte gesehen? Nein, das war unmöglich.
    „Gibt es etwas, das du mir sagen möchtest?“ Er klang hilfsbereit und fürsorglich. Kate fröstelte. Sollte sie ihm ihr Geheimnis verraten? Die Voraussetzung wäre, Vertrauen zu ihm zu haben, und davon war sie weit entfernt. Selbst die Geschichte von Mrs Alcot könnte ihr gefährlich werden.
    Wenn er davon erfuhr, würde er sich einen Reim auf andere merkwürdige Begebenheiten machen. Schließlich war Kate der Grund, warum Mrs Alcot nicht mehr bei ihrem Ehemann im Dorf lebte.
    „Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“, wiederholte Ned beharrlich.
    „Ja“, antwortete sie und stellte sich auf die Zehenspitzen. Weder Zuneigung noch Begehren trieb sie dazu, ihm einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Es war schiere Verzweiflung. Sie brauchte Zeit zum Überlegen. Ned legte seine Hände an ihre Taille. Als sie seinen Brustkorb berührte, öffnete er den Mund. Seine Zunge fand die ihre. Und dann schlang er die Arme um Kate und zog sie an sich. Die Hitze, die von ihm ausging,trug keineswegs dazu bei, ihre wachsende Verwirrung zu beschwichtigen. Seine breite Brust presste sich an ihren Busen, seine sehnigen Schenkel umfingen ihre Beine. Sie streichelte seine Wange, Bartstoppeln kratzten gegen ihre Handfläche.
    Mit ihrem Kuss wollte sie ihn daran hindern, weitere peinliche Fragen zu stellen, wollte Zeit gewinnen. Aber plötzlich war sie zu keinem klaren Gedanken fähig. Was als Ablenkungsmanöver begonnen hatte, wurde mehr. Ihre Zunge begegnete der seinen. Sie konnte ihn nicht küssen, ohne an die bittere Gewissheit zu denken, von ihm verlassen worden zu sein. Sie konnte die Verheißung seiner Umarmung nicht genießen, ohne zu wissen, dass sie ihn von ihren Geheimnissen fernhalten musste. Ihr Kuss sprach von Jahren der Einsamkeit, auf die er keine Antwort wusste.
    Vielleicht hätte sie all ihre Hoffnung auf ein Eheglück in diesen Kuss gelegt, hätte er sie gewähren lassen. Aber das geschah nicht. Er hob den Kopf und blickte ihr in die Augen. Sie hoffte inständig, das flirrende Spiel von Licht und Schatten der Blätter verberge ihren Gemütsaufruhr vor seinem forschenden Blick.
    „Das war sehr schön“, sagte er mit tiefer Stimme, „aber keine Antwort.“
    Verflixt.
    „Mrs Alcots Ehemann wohnt noch im Dorf“, erklärte sie gefasst. „Aber sie selbst ist vor zwei Jahren in das alte Leary-Haus gezogen.“
    „Wieso das denn?“
    „Weil ihr Ehemann sie jahrelang grün und blau geschlagen hat“, antwortete Kate sachlich. „Und als sie älter wurde, bestand die Gefahr, dass er ihr alle Knochen brechen würde.“
    „War er mit dieser Trennung einverstanden?“
    Wenn er sich im Dorf umhörte, würde er die Wahrheit ohnehin herausfinden. Kate senkte den Blick. „Wohl oder übel, nachdem ich ein Machtwort gesprochen und es befohlen habe.“ Mrs Alcot war eine der wenigen Frauen, der sie in allerÖffentlichkeit geholfen hatte. Als Gutsherrin hatte ihr Wort in Abwesenheit ihres Ehemanns zwar nicht unbedingt Rechtsgültigkeit, war allerdings von großer Überzeugungskraft.
    „Du hast es befohlen“, wiederholte Ned. „Und warum hast du es befohlen?“
    „Weil du abwesend warst.“
    Er rieb sich das Kinn. Dann schüttelte er den Kopf, als wolle er seine Gedanken klären. „Mir war nicht bewusst, dass ich dich mit so viel Verantwortung zurückgelassen habe. Anscheinend habe ich dir ernste Lasten aufgebürdet.“
    Es war wichtig, dass er sie unterschätzte und nicht ernst nahm – um Louisas willen.
    Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie ihn liebend gerne mit einem kräftigen Stoß die aufgeweichte Uferböschung hinunter in den Bach gestoßen, schon wegen dieses überheblich nachsichtigen Tonfalls. „Ach ja? Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich nicht

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