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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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Kannibalismus. Die Wände mit blutigen Zeichen bedeckt. Niemand kann sich einen Reim darauf machen.«
    Jeanne legte die Gabel ab, stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und faltete die Hände.
    »Erzähl!«
    »Der Staatsanwalt rief vom Tatort aus an und bat mich, sofort zu kommen. Ich wurde auf der Stelle mit dem Fall betraut.«
    »Und was ist mit der kriminalpolizeilichen Vorermittlungsfrist?«
    »Paragraph 74 StGB ›Ermittlung der Todesursache‹. Angesichts dieses Gemetzels wollte die Staatsanwaltschaft sofort einen Richter einschalten, der die Ermittlungen koordiniert.«
    Jeannes Neugier wuchs. »Beschreib mir die Umstände.«
    »Die Leiche wurde im tiefsten Untergeschoss gefunden. Eine Krankenschwester.«
    »Wie alt?«
    »Zweiundzwanzig.«
    »Wo hat sie gearbeitet?«
    »In einem Zentrum für Personen mit mentalen Entwicklungsstörungen. Die Tiefgarage gehört zu der Einrichtung.«
    »Und was haben die Ermittlungen am Tatort ergeben?«
    »Kein Zeuge. Weder im Innern des Gebäudes noch außerhalb.«
    »Überwachungskameras?«
    »Keine Kamera. Jedenfalls nicht auf dieser Etage.«
    »Das Umfeld der Frau?«
    »Fehlanzeige.«
    »Du hast von einem Zentrum für geistig Behinderte gesprochen. Könnte nicht einer der Patienten der Täter sein?«
    »Es ist eine Einrichtung für Kinder.«
    »Sonstige Spuren?«
    »Nichts. Die Ermittler untersuchen ihren Computer, um herauszufinden, ob sie Internet-Kontaktbörsen frequentiert hat. Aber das alles wird zu nichts führen. Meiner Meinung nach war es ein Serienkiller. Sie lief zufällig einem Psychopathen über den Weg und fiel in sein Beuteschema.«
    »Hatte sie besondere körperliche Merkmale?«
    Taine zögerte.
    »Recht hübsch. Pummelig. Vielleicht entsprach sie einem bestimmten Typ, auf den der Mörder steht. Wie immer in diesen Fällen werden wir schlauer sein, wenn er ein weiteres Mal zuschlägt.«
    »Was weißt du noch?«
    Jeanne hatte ihren Salat ganz vergessen. Das Stimmengewirr im Lokal. Die kühle Luft aus der Klimaanlage.
    »Im Augenblick ist das alles. Ich warte auf die Ergebnisse der Obduktion und die Analysen der Gerichtsmedizin. Mache mir aber keine großen Hoffnungen. Der Tatort lässt einerseits eine bestialische Grausamkeit und andererseits eine sorgfältige Vorbereitung erkennen. Ich bin mir sicher, dass der Kerl Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hat. Eigenartig sind die Fußabdrücke.«
    »Von Schuhen?«
    »Nein, von nackten Füßen. Die Kripo glaubt, dass er sich nackt ausgezogen hat, um sein Ritual durchzuführen.«
    »Was für ein ›Ritual‹?«
    »Es gibt Zeichen an den Wänden. Sie erinnern an prähistorische Zeichnungen. Und dann diese Sache mit dem Kannibalismus ...«
    »Bist du dir in diesem Punkt sicher?«
    »Die Gliedmaßen wurden abgetrennt und bis auf die Knochen abgenagt. Reste von Organen lagen auf dem Boden herum. Die Leiche weist überall Bissspuren auf, die von menschlichen Zähnen stammen. Echt scheußlich!«
    Jeanne ließ ihren Blick geistesabwesend durch den Raum schweifen. Die Beschreibung des Tatorts rief Erinnerungen in ihr wach. Bruchstücke ihrer eigenen Lebensgeschichte, sorgfältig versteckt hinter dem glatten Erscheinungsbild der vorzeigbaren Richterin.
    »Und was stellen die Zeichnungen an den Wänden dar?«
    »Bizarre Formen, primitive Silhouetten. Der Mörder hat Blut mit Ocker gemischt.«
    »Ocker?«
    »Ja. Er muss den Farbstoff mitgebracht haben. Wir haben es mit einem echten Psychopathen zu tun. Wenn du willst, zeig ich dir die Fotos.«
    »Legt ihr diese Zeichnungen Anthropologen vor?«
    »Die Kripo kümmert sich darum.«
    »Wer leitet das Ermittlungsteam?«
    »Wieso interessiert dich das? Ich ...«
    »Der Name!«
    »Patrick Reischenbach.«
    Jeanne kannte ihn. Eine der Größen der Pariser Kripo. Hart. Effizient. Einsilbig. Und zugleich ein Genießer. Sie erinnerte sich an ein Detail: Obwohl er schlecht rasiert war, trug er stets gegeltes Haar. Sie fand das widerlich.
    »Wieso haben die Medien nicht darüber berichtet?«
    »Weil wir unsere Arbeit machen.«
    »Das Ermittlungsgeheimnis«, sagte Jeanne lächelnd. »Etwas, das zusehends höher im Kurs steht ...«
    »Von mir aus. In so einem Fall brauchen wir vor allem Ruhe. Wir müssen ungestört ermitteln können. Jedes Detail analysieren. Ich habe sogar einen Profiler eingeschaltet.«
    »Offiziell?«
    »Ja.«
    »Wen?«
    »Bernard Level. Tatsächlich ist er der Einzige, den wir haben ... Wir recherchieren auch in den kriminalpolizeilichen Archiven. Morde, die Ähnlichkeiten mit

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