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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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so, wenn du willst«, meinte der Richter gekränkt.
    »Habt ihr was miteinander?«
    Er nickte mit einem spöttischen Lächeln.
    »Ich werde das nie begreifen«, seufzte Jeanne.
    Taine legte die Hände aufeinander. Ein geduldiger Richter, der dem Beschuldigten eine letzte Chance gibt, ehe er ihn hinter Schloss und Riegel setzt.
    »Jeanne, es gibt da eine Sache, die du kapieren musst. Die Natur des Begehrens bei uns Männern.«
    »Ich platze vor Neugier.«
    »Die meisten von uns sind hinter schönen, eleganten und schlanken Frauen mit Modelfigur her. Aber das tun wir, um uns in Szene zu setzen. Wenn es darum geht, Spaß zu haben, wenn uns niemand mehr zuschaut, wenden wir uns den runden, üppigen Formen zu. Männer mögen pummelige Frauen. Verstehst du?«
    »Jedenfalls weiß ich, zu welcher Gruppe ich gehöre.«
    Jeanne, ein Meter dreiundsiebzig groß, wog immer zwischen fünfzig und zweiundfünfzig Kilo.
    »Bedauerlich. Du gehörst zu den Frauen, die man heiratet.«
    »Ist mir noch gar nicht aufgefallen!«
    »Du bist die Frau, die man voller Stolz ausführt. Mit der man ins Restaurant geht. Der man Kinder macht.«
    »Der Muttertyp, wie?«
    Taine lachte laut auf.
    »Wärst du auch gern die Hure? Dafür bist du zu wählerisch.«
    Halb geschmeichelt, halb verärgert fragte Jeanne:
    »Was wolltest du mir gleich noch erzählen?«
    »Am Sonntagnachmittag war die berühmte Audrey bei mir zu Gast. Erinnerst du dich noch, wie heiß es an dem Tag war? Wir hatten die Fensterläden geschlossen. Die Leintücher waren nass zum Auswringen. Die Atmosphäre war wirklich ... Du verstehst?«
    »Ich verstehe.«
    »Um fünf Uhr läutet es. Meine Exfrau, Nathalie, brachte mir die Kinder. Jeden Sonntag esse ich mit den Kindern zu Abend und fahre sie am nächsten Morgen zur Schule. Normalerweise kommt meine Ex um sieben. Durch einen blöden Zufall – weil irgendeine Theatervorstellung ausfiel – tauchte sie zwei Stunden früher auf. Und Audrey in meinem Bett – da habe ich die Nerven verloren.«
    »Ihr seid doch geschieden, oder?«
    »Das ist alles noch ganz frisch. Nathalie kommt jedes Mal für ein paar Minuten mit rein und sieht sich um, als wolle sie rausfinden, ob es da eine Frau gibt. Sie hätte keine drei Sekunden gebraucht, um zu bemerken, dass jemand in meinem Schlafzimmer war.«
    »Was hast du gemacht?«
    »Ich bin in eine Unterhose geschlüpft und hab Audrey gesagt, sie soll sich schnell anziehen. Ich wohne ganz oben, im fünften Stock. Es gibt keinen Aufzug. Auf dem Treppenabsatz vor meiner Wohnung befindet sich eine Abstellkammer. Da habe ich sie reingeschoben.«
    »Hat's geklappt?«
    »Gerade so. Auf der Türschwelle sah ich einen Moment lang gleichzeitig die nackten Füße Audreys, die in dem Kabuff verschwanden, und die Köpfe meiner Kinder, die von unten heraufkamen.«
    Taine schwieg kurz, um die Spannung zu steigern. Jeanne spielte mit:
    »Und dann?«
    »Dann sind die Kinder in ihrem Zimmer verschwunden, während Nathalie die Wohnung betrat und sich neugierig umsah. Sie hat mir zwei, drei Dinge zur Kleidung der Kinder gesagt und sprach mich dann noch auf den Scheck für das Schulessen an. Immer die gleichen Geschichten. Für mich war die Sache geritzt. Bis ich Audreys Sonnenbrille auf einem Bücherregal neben dem Eingang liegen sah.«
    »Hat sie sie auch bemerkt?«
    »Nein. Als sie auf die Uhr sah, habe ich die Gelegenheit genutzt, um die Brille in meiner Hosentasche verschwinden zu lassen.«
    »Wenn sie nichts bemerkt hat, wo ist dann das Problem?«
    »Ich habe sie zur Tür begleitet. Als ich sie schon hinter ihr schließen wollte, fragte sie: ›Hast du nicht meine Sonnenbrille gesehen? Ich muss sie irgendwo hingelegt haben.‹«
    Jeanne lächelte.
    »Klingt spannend! Wie hast du dich aus der Affäre gezogen?«
    »Fünf Minuten lang haben wir die Brille gesucht, die ich in der Tasche hatte. Dann habe ich sie diskret herausgezogen und so getan, als hätte ich sie auf einem Regal aufgestöbert.«
    Die Vorspeisen wurden aufgetragen. Kürbissalat für Jeanne, Sushi mit rotem Thunfisch für Taine. Sie begannen zu essen. Das Gemurmel der Geschäftsleute um sie herum entsprach ganz ihrer Kleidung: neutral, glatt, anonym.
    »Woran arbeitest du gerade?«, fragte Taine.
    »Nichts Besonderes. Und du?«
    »Ich bin an einer ziemlichen üblen Sache dran.«
    »Worum geht's?«
    »Ein Mord. Eine Leiche, die vor drei Tagen entdeckt wurde. Eine Horrorgeschichte. In einer Tiefgarage in Garches. Das Opfer wurde zerstückelt. Spuren von

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