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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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Küche und schaltete das Licht an. Da sie keinen Hunger hatte, bereitete sie sich nur eine Tasse grünen Tee. Sie wollte gleich ins Bett gehen. Mit dieser Trunkenheit einschlafen, bevor die Angst alles kaputtmachte. Sie kannte sich. Wenn sie jetzt wach blieb, würde sie anfangen, sich Fragen zu stellen. Hatte sie ihm gefallen? Würde er sie anrufen? An welchen – positiven oder negativen – Anzeichen konnte man seinen Gemütszustand ablesen? Sie würde den Rest der Nacht damit verbringen, das kleinste Detail in dieser Weise zu analysieren. Ein regelrechtes Ermittlungsverfahren, an dessen Ende sie niemals eine innere Gewissheit erlangen würde.
    Wieder fiel ihr Blick auf den Umschlag, der im Dunkeln lag. Plötzlich überkam sie die Lust, die Stimme zu hören, seine Stimme . Sie machte es sich im Wohnzimmer bequem, das Notebook auf den Knien und mit aufgesetztem Kopfhörer. Dann legte sie die CD ins Laufwerk ein.
    Jeanne spielte die CD im Schnelldurchlauf ab. Sie wollte sich nur ein oder zwei Sitzungen anhören. Kurz lauschte sie in jede Sitzung hinein und entschied dann. Sie erkannte die Stimmen, den Tonfall und die kleinen Höllenkreise der Seele, in denen jeder herumirrte wie eine Ratte in einem Labyrinth.
    Sie musste die CD fast ganz durchlaufen lassen, ehe sie endlich auf einen Knüller stieß.
    Der spanische Vater war zurückgekehrt.
    Mit seinem Sohn.
    »Das ist Joachim.«
    In der Dunkelheit stellte sie lauter. Ihr wurde klar, dass dieser Vater und sein Sohn Féraud ungefähr gegen 18.00 Uhr aufgesucht hatten – also genau zu der Zeit, als sie in ihrem Auto vor dem Eingang auf der Lauer lag ... Sie musste also gesehen haben, wie die beiden die Rue Le Goff 1 betreten und wieder hinausgegangen waren. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern. Da sie auf einen einzelnen Mann gewartet hatte, hatte sie einem Paar keinerlei Beachtung geschenkt.
    »Guten Tag, Joachim.«
    »Guten Tag.«
    Von der Stimme her schätzte Jeanne ihn auf etwa vierzig. Der Vater musste also mindestens sechzig sein, wie sie es vermutet hatte.
    »Sind Sie bereit, einige Fragen zu beantworten?«
    »Ja.«
    »Wie alt sind Sie?«
    »Fünfunddreißig.«
    »Verheiratet?«
    »Ledig.«
    »Sind Sie berufstätig?«
    »Ich bin Rechtsanwalt.«
    »In welchem Bereich?«
    »Im Moment arbeite ich für NGOs, die in Südamerika aktiv sind.«
    Joachim sprach ohne den geringsten spanischen Akzent. Offenbar war er in Frankreich aufgewachsen. Oder er war außergewöhnlich sprachbegabt.
    »Was sind die Tätigkeitsfelder dieser NGOs?«
    »Nichts Besonderes. Wir helfen den Ärmsten. Wir kümmern uns um die medizinische Versorgung von Kindern. Ich verwalte die internationalen Spendengelder.«
    Schweigen. Féraud machte sich Notizen. Joachim antwortete völlig ruhig auf jede Frage, ohne jegliche Hast oder Erregung.
    »Haben Sie gesundheitliche Probleme?«
    »Nein.«
    »Trinken Sie?«
    »Nein.«
    »Nehmen Sie Drogen?«
    »Nie.«
    »Ihr Vater hat mir gesagt, dass Sie Anfälle haben.«
    Jeanne glaubte ein Lachen zu hören. Joachim nahm das alles offenkundig nicht besonders ernst.
    »›Anfälle‹ ist das richtige Wort.«
    »Was können Sie mir darüber sagen?«
    »Nichts.«
    »Das heißt?«
    »Ich erinnere mich an nichts. Es sind schwarze Löcher.«
    »Genau das ist das Problem!«, fügte der Vater hinzu.
    Erneutes Schweigen. Abermals Notizen.
    »Kommt in diesen Phasen der Bewusstseinstrübung eine andere Persönlichkeit zum Vorschein?«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich es nicht weiß!«
    Joachim hatte die Stimme erhoben. Ein erstes Anzeichen von Nervosität. Auch Féraud änderte seinen Tonfall. Mit größerem Nachdruck sagte er:
    »Wären Sie bereit, sich einer kurzen Hypnose zu unterziehen?«
    »Wie in dem Film Der Exorzist ? «
    Der Anwalt hatte seinen scherzhaften, distanzierten Ton wiedergefunden.
    »Wie im Exorzisten , genau. Es ist eine Methode, die häufig überraschende Erkenntnisse zu Tage fördert.«
    Erneutes Lachen.
    »Halten Sie mich für einen Besessenen?«
    Nervosität und Entspannung wechselten in einem fort. Bei Joachim wie auch bei Féraud.
    »Nein«, antwortete der Psychiater. »Während Ihrer Absencen manifestiert sich möglicherweise – ohne dass Sie es wissen – eine andere Persönlichkeit beziehungsweise eine andere Seite Ihrer Persönlichkeit. Gemeinsam können wir dieses Gesicht zweifellos ans Tageslicht bringen. Die Hypnose kann uns dabei helfen, ohne Sie im Geringsten zu gefährden.«
    Férauds Stimme klang vollkommen ruhig. Ein

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