Im Wald der stummen Schreie
Chirurg vor der Narkose. Raschelnde Kleidung. Joachim rutschte auf seinem Stuhl nervös hin und her.
»Ich weiß nicht ...«
»Joachim ...«, flüsterte der Vater.
»Papa, halt dich da raus!«
Schweigen. Dann:
»Sehr schön. Versuchen wir es.«
»Ich lasse nur kurz die Jalousien herunter.«
Schritte. Das Klappern der Lamellen. Quietschen. Die Stühle wurden wieder an ihre Plätze gerückt. Jeanne war wie elektrisiert. Sie musste immer wieder daran denken, dass sich dies unmittelbar vor ihrer Begegnung ereignet hatte. Ihr ging etwas auf: Während sie sich beim Eisessen in den Gärten der Champs-Élysées entspannt hatte, hatte Antoine Féraud ebenfalls Ablenkung gesucht. Sie hatten sich also gegenseitig einen guten Dienst erwiesen.
Jeanne spulte die CD ein Stück vor – sie übersprang die Etappen der Entspannung, die den Auftakt zu jeder Hypnose-Sitzung bilden. Joachim befand sich jetzt im Zustand der Suggestion. Langsame Antworten. Ausdruckslose, monotone Stimme. Sie stellte sich die drei im Halbdunkel vor. Féraud hinter seinem Schreibtisch oder vielleicht auch neben dem Patienten sitzend. Joachim, kerzengerade auf seinem Stuhl, die Augen geschlossen oder mit leerem Blick vor sich hin starrend. Und im Hintergrund der Vater, stehend. Sie wusste nicht, wieso, aber sie stellte ihn sich mit dichtem grauem oder weißem Haar vor.
»Joachim, hören Sie mich?«
»Ich höre Sie.«
»Ich möchte mit der Person, die in Ihnen ist, in Verbindung treten.«
Keine Antwort.
»Kann man mit ihr sprechen?«
Keine Antwort. Féraud sprach lauter:
»Ich wende mich an die Person, die im Innern Joachims lebt. Antworte mir!«
Jeanne fiel auf, dass Féraud zum »Du« übergegangen war. Zweifellos um seine beiden Gesprächspartner, Joachim und den Eindringling, zu unterscheiden. Ein letzter Versuch mit ruhigerer Stimme:
»Wie heißt du?«
Kurze Pause. Dann ertönte eine andere Stimme in dem Raum:
»Du hast keinen Namen.«
Diese Stimme ließ Jeanne zusammenfahren. Eine metallische, quietschende, gellende Lautgebung. Weder Mann noch Frau. Vielleicht ein Kind. Als sie zusammen mit ihrer Schwester die Sommerferien auf dem Land, im Perche, verbracht hatte, bastelten sich die beiden Mädchen aus Konservendosen, die mit einer Schnur verbunden waren, Walkie-Talkies. Der Echolaut aus diesen Metallzylindern hörte sich so an wie diese Stimme. Eine verzerrte, metallische Stimme.
»Wie heißt du?«
Der Vater flüsterte:
»Das ›Wesen‹ sagt niemals ›ich‹. Das Wesen spricht immer in der zweiten Person.«
»Still!«
Féraud räusperte sich:
»Wie alt bist du?«
»Du hast kein Alter. Du kommst aus dem Wald.«
»Was für einem Wald?«
»Du wirst große Schmerzen erleiden.«
»Was suchst du? Was willst du?«
Keine Antwort.
»Erzähl mir von dem Wald.«
Metallisches Kratzen. Ein höhnisches Lachen vielleicht.
»Man muss ihm lauschen, dem Wald der Manen.«
»Weshalb nennst du ihn so?«
Keine Antwort.
»Bist du als Kind zum ersten Mal in diesem Wald gewesen?«
»Bist du als Kind zum ersten Mal in diesem Wald gewesen?«
Der Vater mischte sich noch einmal mit leiser Stimme ein:
»Mir ist aufgefallen, dass das seine Art ist, ja zu sagen. Das ›Wesen‹ wiederholt die Frage.«
Féraud ging nicht darauf ein. Jeanne stellte sich vor, dass er ganz auf Joachim konzentriert war. Zweifellos beugte er sich zu ihm vor, die Hände auf den Knien.
»Beschreib ihn mir.«
»Der Wald, er ist gefährlich.«
»Wieso?«
»Er tötet dich. Er beißt dich.«
»Bist du im Wald gebissen worden?«
»Bist du im Wald gebissen worden?«
»Was verlangst du von Joachim, wenn du Besitz von ihm ergreifst?«
Schweigen.
»Willst du dich an dem Wald rächen?«
Schweigen.
»Antworte auf meine Frage.«
Schweigen.
»Antworte, das ist ein Befehl!«
Erneutes Räuspern. Vielleicht ein Lachen oder ein Rülpsen. Die Stimme des Kindes wurde noch heller, und es verfiel in ein rasches Leiern:
»Todas las promesas de mi amor se irán contigo / Me olvidarás, me olvidarás / Junto a la estación hoy lloraré igual que un niño / Porque te vas, porque te vas / Porque te vas, porque te vas ...«
Féraud wollte ihn unterbrechen, aber das Kind wiederholte immer wieder die gleiche Litanei, ohne Atem zu holen:
» ... se irán contigo / Me olvidarás, me olvidarás / Junto a la estación hoy lloraré igual que un niño / Porque te vas, porque te vas / Porque te vas, porque te vas ...«
Die Stimme hörte sich schrecklich an. Als ob sich die Stimmbänder
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