Im Westen Nichts Neues
Schritt mehr machen, die Treppe verschwimmt vor meinen Augen, ich stoße mir den Kolben auf die Füße und presse zornig die Zähne zusammen, aber ich kann nicht gegen dieses eine Wort an, das meine Schwester gerufen hat, nichts kann dagegen an, ich quäle mich gewaltsam, zu lachen und zu sprechen, aber ich bringe kein Wort hervor, und so stehe ich auf der Treppe, unglücklich, hilflos, in einem furchtbaren Krampf, und will nicht, und die Tränen laufen mir immer nur so über das Gesicht.
Meine Schwester kommt zurück und fragt: »Was hast du denn?«
Da raffe ich mich zusammen und stolpere zum Vorplatz hinauf. Mein Gewehr lehne ich in eine Ecke, den Tornister stelle ich gegen die Wand, und den Helm packe ich darauf. Auch das Koppel mit den Sachen daran muß fort. Dann sage ich wütend: »So gib doch endlich ein Taschentuch her!«
Sie gibt mir eins aus dem Schrank, und ich wische mir das Gesicht ab. Über mir an der Wand hängt der Glaskasten mit bunten Schmetterlingen, die ich früher gesammelt habe.
Nun höre ich die Stimme meiner Mutter. Sie kommt aus dem Schlafzimmer.
»Ist sie nicht auf?« frage ich meine Schwester.
»Sie ist krank –«, antwortet sie.
Ich gehe hinein zu ihr, gebe ihr die Hand und sage, so ruhig ich kann: »Da bin ich, Mutter.«
Sie liegt im Halbdunkel. Dann fragt sie angstvoll, und ich fühle, wie ihr Blick mich abtastet: »Bist du verwundet?«
»Nein, ich habe Urlaub.«
Meine Mutter ist sehr blaß. Ich scheue mich, Licht zu machen. »Da liege ich nun und weine«, sagt sie, »anstatt mich zu freuen.«
»Bist du krank, Mutter?« frage ich »Ich werde heute etwas aufstehen«, sagt sie und wendet sich zu meiner Schwester, die immer auf einen Sprung in die Küche muß, damit ihr das Essen nicht anbrennt: »Mach auch das Glas mit den eingemachten Preiselbeeren auf, – das ißt du doch gern?« fragt sie mich.
»Ja, Mutter, das habe ich lange nicht gehabt.«
»Als ob wir es geahnt hätten, daß du kommst«, lacht meine Schwester, »gerade dein Lieblingsessen, Kartoffelpuffer, und jetzt sogar mit Preiselbeeren.«
»Es ist ja auch Sonnabend«, antworte ich.
»Setz dich zu mir«, sagt meine Mutter.
Sie sieht mich an. Ihre Hände sind weiß und kränklich und schmal gegen meine. Wir sprechen nur einige Worte, und ich bin ihr dankbar dafür, daß sie nichts fragt. Was soll ich auch sagen: Alles, was möglich war, ist ja geschehen. Ich bin heil herausgelangt und sitze neben ihr. Und in der Küche steht meine Schwester und macht das Abendbrot und singt dazu.
»Mein lieber Junge«, sagt meine Mutter leise.
Wir sind nie sehr zärtlich in der Familie gewesen, das ist nicht üblich bei armen Leuten, die viel arbeiten müssen und Sorgen haben. Sie können das auch nicht so verstehen, sie beteuern nicht gern etwas öfter, was sie ohnehin wissen. Wenn meine Mutter zu mir »lieber Junge« sagt, so ist das so viel, als wenn eine andere wer weiß was anstellt. Ich weiß bestimmt, daß das Glas mit Preiselbeeren das einzige ist seit Monaten und daß sie es aufbewahrt hat für mich, ebenso wie die schon alt schmeckenden Kekse, die sie mir jetzt gibt. Sie hat sicher bei einer günstigen Gelegenheit einige erhalten und sie gleich zurückgelegt für mich.
Ich sitze an ihrem Bett, und durch das Fenster funkeln in Braun und Gold die Kastanien des gegenüberliegenden Wirtsgartens. Ich atme langsam ein und aus und sage mir: »Du bist zu Hause, du bist zu Hause.« Aber eine Befangenheit will nicht von mir weichen, ich kann mich noch nicht in alles hineinfinden. Da ist meine Mutter, da ist meine Schwester, da mein Schmetterlingskasten und da das Mahagoniklavier – aber ich bin noch nicht ganz da. Es sind ein Schleier und ein Schritt dazwischen.
Deshalb gehe ich jetzt, hole meinen Tornister ans Bett und packe aus, was ich mitgebracht habe: einen ganzen Edamer Käse, den Kat mir besorgt hat, zwei Kommißbrote, dreiviertel Pfund Butter, zwei Büchsen Leberwurst, ein Pfund Schmalz und ein Säckchen Reis.
»Das könnt ihr sicher gebrauchen –«
Sie nicken. »Hier ist es wohl schlecht damit?« erkundige ich mich.
»Ja, es gibt nicht viel. Habt ihr denn draußen genug?« Ich lächele und zeige auf die mitgebrachten Sachen. »So viel ja nun nicht immer, aber es geht doch einigermaßen.« Erna bringt die Lebensmittel fort. Meine Mutter nimmt plötzlich heftig meine Hand und fragt stockend: »War es sehr schlimm draußen, Paul?«
Mutter, was soll ich dir darauf antworten! Du wirst es nicht verstehen und nie
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