Im Westen Nichts Neues
begreifen. Du sollst es auch nie begreifen. War es schlimm, fragst du. – Du, Mutter. – Ich schüttele den Kopf und sage: »Nein, Mutter, nicht so sehr. Wir sind ja mit vielen zusammen, da ist es nicht so schlimm.«
»Ja, aber kürzlich war Heinrich Bredemeyer hier, der erzählte, es wäre jetzt furchtbar draußen, mit dem Gas und all dem andern.«
Es ist meine Mutter, die das sagt. Sie sagt: mit dem Gas und all dem andern. Sie weiß nicht, was sie spricht, sie hat nur Angst um mich. Soll ich ihr erzählen, daß wir einmal drei gegnerische Gräben fanden, die erstarrt waren in ihrer Haltung, wie vom Schlag getroffen? Auf den Brustwehren, in den Unterständen, wo sie gerade waren, standen und lagen die Leute mit blauen Gesichtern, tot.
»Ach, Mutter, was so geredet wird«, antworte ich, »der Bredemeyer erzählt nur so etwas dahin. Du siehst ja, ich bin heil und dick –«
An der zitternden Sorge meiner Mutter finde ich meine Ruhe wieder. Jetzt kann ich schon umhergehen und sprechen und Rede stehen, ohne Furcht, mich plötzlich an die Wand lehnen zu müssen, weil die Welt weich wird wie Gummi und die Adern mürbe wie Zunder.
Meine Mutter will aufstehen, ich gehe solange in die Küche zu meiner Schwester. »Was hat sie?« frage ich. Sie zuckt die Achseln: »Sie liegt schon ein paar Monate, wir sollten es dir aber nicht schreiben. Es sind mehrere Ärzte bei ihr gewesen. Einer sagte, es wäre wohl wieder Krebs.«
*
Ich gehe zum Bezirkskommando, um mich anzumelden. Langsam wandere ich durch die Straßen. Hier und da spricht mich jemand an. Ich halte mich nicht lange auf, denn ich will nicht so viel reden.
Als ich aus der Kaserne zurückkomme, ruft mich eine laute Stimme an. Ich drehe mich um, ganz in Gedanken, und stehe einem Major gegenüber. Er fährt mich an: »Können Sie nicht grüßen?«
»Entschuldigen Herr Major«, sage ich verwirrt, »ich habe Sie nicht gesehen.«
Er wird noch lauter: »Können Sie sich auch nicht vernünftig ausdrücken?«
Ich möchte ihm ins Gesicht schlagen, beherrsche mich aber, denn sonst ist mein Urlaub hin, nehme die Knochen zusammen und sage: »Ich habe Herrn Major nicht gesehen.« »Dann passen Sie gefälligst auf!« schnauzt er. »Wie heißen Sie?«
Ich rapportiere.
Sein rotes, dickes Gesicht ist immer noch empört. »Truppenteil?«
Ich melde vorschriftsmäßig. Er hat immer noch nicht genug. »Wo liegen Sie?«
Aber ich habe jetzt genug und sage: »Zwischen Langemark und Bixschoote.«
»Wieso?« fragt er etwas verblüfft.
Ich erkläre ihm, daß ich vor einer Stunde auf Urlaub gekommen sei, und denke, daß er jetzt abtrudeln wird. Aber ich irre mich. Er wird sogar noch wilder: »Das könnte Ihnen wohl so passen, hier Frontsitten einzuführen, was? Das gibt’s nicht! Hier herrscht Gott sei Dank Ordnung!« Er kommandiert: »Zwanzig Schritt zurück, marsch, marsch!«
In mir sitzt die dumpfe Wut. Aber ich kann nichts gegen ihn machen, er läßt mich sofort festnehmen, wenn er will. So spritze ich zurück, gehe vor und zucke sechs Meter vor ihm zu einem zackigen Gruß zusammen, den ich erst wegnehme, als ich sechs Meter hinter ihm bin.
Er ruft mich wieder heran und gibt mir jetzt leutselig bekannt, daß er noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen will. Ich zeige mich stramm dankbar. »Wegtreten!« kommandiert er. Ich knalle die Wendung und ziehe ab.
Der Abend ist mir dadurch verleidet. Ich mache, daß ich nach Hause komme, und werfe die Uniform in die Ecke, das hatte ich sowieso vor. Dann hole ich meinen Zivilanzug aus dem Schrank und ziehe ihn an.
Das ist mir ganz ungewohnt. Der Anzug sitzt ziemlich kurz und knapp, ich bin beim Kommiß gewachsen. Kragen und Krawatte machen mir Schwierigkeiten. Schließlich bindet mir meine Schwester den Knoten. Wie leicht so ein Anzug ist, man hat das Gefühl, als wäre man nur in Unterhosen und Hemd.
Ich betrachte mich im Spiegel. Das ist ein sonderbarer Anblick. Ein sonnenverbrannter, etwas ausgewachsener Konfirmand sieht mich da verwundert an.
Meine Mutter ist froh, daß ich Zivilzeug trage; ich bin ihr dadurch vertrauter. Doch mein Vater hätte lieber, daß ich Uniform anzöge, er möchte so mit mir zu seinen Bekannten gehen.
Aber ich weigere mich.
*
Es ist schön, still irgendwo zu sitzen, zum Beispiel in dem Wirtsgarten gegenüber den Kastanien, nahe der Kegelbahn. Die Blätter fallen auf den Tisch und auf die Erde, wenige nur, die ersten. Ich habe ein Glas Bier vor mir stehen, das Trinken hat man beim Militär gelernt.
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