Im Westen Nichts Neues
den Urlaub anders vorgestellt. Vor einem Jahr war er auch anders. Ich bin es wohl, der sich inzwischen geändert hat. Zwischen heute und damals liegt eine Kluft. Damals kannte ich den Krieg noch nicht, wir hatten in ruhigeren Abschnitten gelegen. Heute merke ich, daß ich, ohne es zu wissen, zermürbter geworden bin. Ich finde mich hier nicht mehr zurecht, es ist eine fremde Welt. Die einen fragen, die andern fragen nicht, und man sieht ihnen an, daß sie stolz darauf sind; oft sagen sie es sogar noch mit dieser Miene des Verstehens, daß man darüber nicht reden könne. Sie bilden sich etwas darauf ein.
Am liebsten bin ich allein, da stört mich keiner. Denn alle kommen stets auf dasselbe zurück, wie schlecht es geht und wie gut es geht, der eine findet es so, der andere so, – immer sind sie auch rasch bei den Dingen, die ihr Dasein darstellen. Ich habe früher sicher genauso gelebt, aber ich finde jetzt keinen Anschluß mehr daran.
Sie reden mir zuviel. Sie haben Sorgen, Ziele, Wünsche, die ich nicht so auffassen kann wie sie. Manchmal sitze ich mit einem von ihnen in dem kleinen Wirtsgarten und versuche, ihm klarzumachen, daß dies eigentlich schon alles ist: so still zu sitzen. Sie verstehen das natürlich, geben es zu, finden es auch, aber nur mit Worten, nur mit Worten, das ist es ja – sie empfinden es, aber stets nur halb, ihr anderes Wesen ist bei anderen Dingen, sie sind so verteilt, keiner empfindet es mit seinem ganzen Leben; ich kann ja selbst auch nicht recht sagen, was ich meine.
Wenn ich sie so sehe, in ihren Zimmern, in ihren Büros, in ihren Berufen, dann zieht das mich unwiderstehlich an, ich möchte auch darin sein und den Krieg vergessen; aber es stößt mich auch gleich wieder ab, es ist so eng, wie kann das ein Leben ausfüllen, man sollte es zerschlagen, wie kann das alles so sein, während draußen jetzt die Splitter über die Trichter sausen und die Leuchtkugeln hochgehen, die Verwundeten auf Zeltbahnen zurückgeschleift werden und die Kameraden sich in die Gräben drücken! – Es sind andere Menschen hier, Menschen, die ich nicht richtig begreife, die ich beneide und verachte. Ich muß an Kat und Albert und Müller und Tjaden denken, was mögen sie tun? Sie sitzen vielleicht in der Kantine oder sie schwimmen – bald müssen sie wieder nach vorn.
*
In meinem Zimmer steht hinter dem Tisch ein braunes Ledersofa. Ich setze mich hinein.
An den Wänden sind viele Bilder mit Reißzwecken festgemacht, die ich früher aus Zeitschriften geschnitten habe. Postkarten und Zeichnungen dazwischen, die mir gefallen haben. In der Ecke steht ein kleiner eiserner Ofen. An der Wand gegenüber das Regal mit meinen Büchern.
In diesem Zimmer habe ich gelebt, bevor ich Soldat wurde. Die Bücher habe ich nach und nach gekauft von dem Geld, das ich mit Stundengeben verdiente. Viele davon antiquarisch, alle Klassiker zum Beispiel, ein Band kostete eine Mark und zwanzig Pfennig, in steifem, blauem Leinen. Ich habe sie vollständig gekauft, denn ich war gründlich, bei ausgewählten Werken traute ich den Herausgebern nicht, ob sie auch das Beste genommen hatten. Deshalb kaufte ich mir »Sämtliche Werke«. Gelesen habe ich sie mit ehrlichem Eifer, aber die meisten sagten mir nicht recht zu. Um so mehr hielt ich von den anderen Büchern, den moderneren, die natürlich auch viel teurer waren. Einige davon habe ich nicht ganz ehrlich erworben, ich habe sie ausgeliehen und nicht zurückgegeben, weil ich mich von ihnen nicht trennen mochte.
Ein Fach des Regals ist mit Schulbüchern gefüllt. Sie sind wenig geschont und stark zerlesen, Seiten sind herausgerissen, man weiß ja wofür. Und unten sind Hefte, Papier und Briefe hingepackt, Zeichnungen und Versuche.
Ich will mich hineindenken in die Zeit damals. Sie ist ja noch im Zimmer, ich fühle es sofort, die Wände haben sie bewahrt. Meine Hände liegen auf der Sofalehne; jetzt mache ich es mir bequem und ziehe auch die Beine hoch, so sitze ich gemütlich in der Ecke, in den Armen des Sofas. Das kleine Fenster ist geöffnet, es zeigt das vertraute Bild der Straße mit dem ragenden Kirchturm am Ende. Ein paar Blumen stehen auf dem Tisch. Federhalter, Bleistifte, eine Muschel als Briefbeschwerer, das Tintenfaß – hier ist nichts verändert.
So wird es auch sein, wenn ich Glück habe, wenn der Krieg aus ist und ich wiederkomme für immer. Ich werde ebenso hier sitzen und mein Zimmer ansehen und warten. Ich bin aufgeregt; aber ich möchte es nicht sein, denn
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