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Im Westen Nichts Neues

Im Westen Nichts Neues

Titel: Im Westen Nichts Neues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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für ein Jammer in zwei so kleinen Flecken sitzen kann, die man mit dem Daumen schon zuhalten kann: in den Augen.
    Abends kommen sie in die Baracken und handeln. Sie tauschen alles, was sie haben, gegen Brot ein. Es gelingt ihnen manchmal, denn sie haben gute Stiefel, unsere aber sind schlecht. Das Leder ihrer hohen Schaftstiefel ist wunderbar weich, wie Juchten. Die Bauernsöhne bei uns, die von zu Hause Fettigkeiten geschickt erhalten, können sie sich leisten. Der Preis für ein Paar Stiefel ist ungefähr zwei bis drei Kommißbrote oder ein Kommißbrot und eine kleinere harte Mettwurst.
    Aber fast alle Russen haben längst ihre Sachen abgegeben, die sie hatten. Sie tragen nur noch erbärmliches Zeug und versuchen kleine Schnitzereien und Gegenstände, die sie aus Granatsplittern und Stücken von kupfernen Führungsringen gemacht haben, zu tauschen. Diese Sachen bringen natürlich nicht viel ein, wenn sie auch allerhand Mühe gemacht haben – sie gehen für ein paar Scheiben Brot bereits weg. Unsere Bauern sind zäh und schlau, wenn sie handeln. Sie halten dem Russen das Stück Brot oder Wurst so lange dicht unter die Nase, bis er vor Gier blaß wird und die Augen verdreht, dann ist ihm alles egal. Sie aber verpacken 174 ihre Beute mit all der Umständlichkeit, deren sie fähig sind, holen ihr dickes Taschenmesser heraus, schneiden langsam und bedächtig für sich selber einen Ranken Brot von ihrem Vorrat ab und dazu bei jedem Happen ein Stück von der harten guten Wurst und futtern, sich zur Belohnung. Es ist aufreizend, sie so vespern zu sehen, man möchte ihnen auf die dicken Schädel trommeln. Sie geben selten etwas ab. Man kennt sich ja auch zuwenig.
    *
    Ich bin öfter auf Wache bei den Russen. In der Dunkelheit sieht man ihre Gestalten sich bewegen, wie kranke Störche, wie große Vögel. Sie kommen dicht an das Gitter heran und legen ihre Gesichter dagegen, die Finger sind in die Maschen gekrallt. Oft stehen viele nebeneinander. So atmen sie den Wind, der von der Heide und den Wäldern herkommt.
    Selten sprechen sie, und dann nur wenige Worte. Sie sind menschlicher und, ich möchte fast glauben, brüderlicher zueinander als wir hier. Aber das ist vielleicht nur deshalb, weil sie sich unglücklicher fühlen als wir. Dabei ist für sie doch der Krieg zu Ende. Doch auf die Ruhr zu warten, ist ja auch kein Leben.
    Die Landsturmleute, die sie bewachen, erzählen, daß sie anfangs lebhafter waren. Sie hatten, wie das immer ist, Verhältnisse untereinander, und es soll oft mit Fäusten und Messern dabei zugegangen sein. Jetzt sind sie schon ganz stumpf und gleichgültig, die meisten onanieren nicht einmal mehr, so schwach sind sie, obschon es doch damit sonst oft so schlimm ist, daß sie es sogar barackenweise tun.
    Sie stehen am Gitter; manchmal schwankt einer fort, dann ist bald ein anderer an seiner Stelle in der Reihe. Die meisten sind still; nur einzelne betteln um das Mundstück einer ausgerauchten Zigarette.
    Ich sehe ihre dunklen Gestalten. Ihre Barte wehen im Winde. Ich weiß nichts von ihnen, als daß sie Gefangene sind, und gerade das erschüttert mich. Ihr Leben ist namenlos und ohne Schuld; – wüßte ich mehr von ihnen, wie sie heißen, wie sie leben, was sie erwarten, was sie bedrückt, so hätte meine Erschütterung ein Ziel und könnte zu Mitleid werden. Jetzt aber empfinde ich hinter ihnen nur den Schmerz der Kreatur, die furchtbare Schwermut des Lebens und die Erbarmungslosigkeit der Menschen.
    Ein Befehl hat diese stillen Gestalten zu unsern Feinden gemacht; ein Befehl könnte sie in unsere Freunde verwandeln. An irgendeinem Tisch wird ein Schriftstück von einigen Leuten unterzeichnet, die keiner von uns kennt, und jahrelang ist unser höchstes Ziel das, worauf sonst die Verachtung der Welt und ihre höchste Strafe ruht. Wer kann da noch unterscheiden, wenn er diese stillen Leute hier sieht mit den kindlichen Gesichtern und den Apostelbärten! Jeder Unteroffizier ist dem Rekruten, jeder Oberlehrer dem Schüler ein schlimmerer Feind als sie uns. Und dennoch würden wir wieder auf sie schießen und sie auf uns, wenn sie frei wären.
    Ich erschrecke; hier darf ich nicht weiterdenken. Dieser Weg geht in den Abgrund. Es ist noch nicht die Zeit dazu; aber ich will den Gedanken nicht verlieren, ich will ihn bewahren, ihn fortschließen, bis der Krieg zu Ende ist. Mein Herz klopft: ist hier das Ziel, das Große, das Einmalige, an das ich im Graben gedacht habe, das ich suchte als Daseinsmöglichkeit

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