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Im Westen Nichts Neues

Im Westen Nichts Neues

Titel: Im Westen Nichts Neues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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nach dieser Katastrophe aller Menschlichkeit, ist es eine Aufgabe für das Leben nachher, würdig der Jahre des Grauens?
    Ich nehme meine Zigaretten heraus, breche jede in zwei Teile und gebe sie den Russen. Sie verneigen sich und zünden sie an. Nun glimmen in einigen Gesichtern rote Punkte. Sie trösten mich; es sieht aus, als wären es kleine Fensterchen in dunklen Dorfhäusern, die verraten, daß dahinter Zimmer voll Zuflucht sind.
    *
    Die Tage gehen hin. An einem nebeligen Morgen wird wieder ein Russe begraben; es sterben ja jetzt fast täglich welche. Ich bin gerade auf Wache, als er beerdigt wird. Die Gefangenen singen einen Choral, sie singen vielstimmig, und es klingt, als wären es kaum noch Stimmen, als wäre es eine Orgel, die fern in der Heide steht.
    Die Beerdigung geht schnell.
    Abends stehen sie wieder am Gitter, und der Wind kommt von den Birkenwäldern zu ihnen. Die Sterne sind kalt. Ich kenne jetzt einige von ihnen, die ziemlich gut Deutsch sprechen. Ein Musiker ist dabei, er erzählt, daß er Geiger in Berlin gewesen sei. Als er hört, daß ich etwas Klavier spielen kann, holt er seine Geige und spielt. Die andern setzen sich und lehnen die Rücken an das Gitter. Er steht und spielt, oft hat er den verlorenen Ausdruck, den Geiger haben, wenn sie die Augen schließen, dann wieder bewegt er das Instrument im Rhythmus und lächelt mich an.
    Er spielt wohl Volkslieder; denn die anderen summen mit.
    Es sind dunkle Hügel, die tief unterirdisch summen. Die Geigenstimme steht wie ein schlankes Mädchen darüber und ist hell und allein. Die Stimmen hören auf, und die Geige bleibt – sie ist dünn in der Nacht, als friere sie; man muß dicht danebenstehen, es wäre in einem Raum wohl besser; – hier draußen wird man traurig, wenn sie so allein umherirrt.
    *
    Ich bekomme keinen Urlaub über Sonntag, weil ich ja erst größeren Urlaub gehabt habe. Am letzten Sonntag vor der Abfahrt sind deshalb mein Vater und meine älteste Schwester zu Besuch bei mir. Wir sitzen den ganzen Tag im Soldatenheim. Wo sollen wir anders hin, in die Baracke wollen wir nicht gehen. Mittags machen wir einen Spaziergang in die Heide.
    Die Stunden quälen sich hin; wir wissen nicht, worüber wir reden sollen. So sprechen wir über die Krankheit meiner Mutter. Es ist nun bestimmt Krebs, sie liegt schon im Krankenhaus und wird demnächst operiert. Die Ärzte hoffen, daß sie gesund wird, aber wir haben noch nie gehört, daß Krebs geheilt worden ist.
    »Wo liegt sie denn?« frage ich.
    »Im Luisenhospital«, sagt mein Vater.
    »In welcher Klasse?«
    »Dritter. Wir müssen abwarten, was die Operation kostet. Sie wollte selbst dritter liegen. Sie sagte, dann hätte sie etwas Unterhaltung. Es ist auch billiger.«
    »Dann liegt sie doch mit so vielen zusammen. Wenn sie nur nachts schlafen kann.«
    Mein Vater nickt. Sein Gesicht ist abgespannt und voll Furchen. Meine Mutter ist viel krank gewesen; sie ist zwar nur ins Krankenhaus gegangen, wenn sie gezwungen wurde, trotzdem hat es viel Geld für uns gekostet, und das Leben meines Vaters ist eigentlich darüber hingegangen. »Wenn man bloß wüßte, wieviel die Operation kostet«, sagt er.
    »Habt ihr nicht gefragt?«
    »Nicht direkt, das kann man nicht – wenn der Arzt dann unfreundlich wird, das geht doch nicht, weil er Mutter doch operieren soll.«
    Ja, denke ich bitter, so sind wir, so sind sie, die armen Leute. Sie wagen nicht nach dem Preise zu fragen und sorgen sich eher furchtbar darüber; aber die andern, die es nicht nötig haben, die finden es selbstverständlich, vorher den Preis festzulegen. Bei ihnen wird der Arzt auch nicht unfreundlich sein.
    »Die Verbände hinterher sind auch so teuer«, sagt mein Vater.
    »Zahlt denn die Krankenkasse nichts dazu?« frage ich.
    »Mutter ist schon zu lange krank.«
    »Habt ihr denn etwas Geld?«
    Er schüttelt den Kopf. »Nein. Aber ich kann jetzt wieder Überstunden machen.«
    Ich weiß: er wird bis zwölf Uhr nachts an seinem Tisch stehen und falzen und kleben und schneiden. Um acht Uhr abends wird er etwas essen von diesem kraftlosen Zeug, das sie auf Karten beziehen. Hinterher wird er ein Pulver gegen seine Kopfschmerzen einnehmen und weiterarbeiten.
    Um ihn etwas aufzuheitern, erzähle ich ihm einige Geschichten, die mir gerade einfallen, Soldatenwitze und so etwas, von Generalen und Feldwebeln, die irgendwann mal ‘reingelegt wurden.
    Nachher bringe ich beide zur Bahnstation. Sie geben mir ein Glas Marmelade und ein Paket

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