Im Westen Nichts Neues
plötzlich zu zittern, daß etwas dazwischenkäme. Ich denke nicht mehr an den Toten, er ist mir jetzt völlig gleichgültig. Mit einem Schlage springt die Lebensgier auf, und alles, was ich mir vorgenommen habe, versinkt davor. Nur um jetzt nicht noch Unglück zu haben, plappere ich mechanisch: »Ich werde alles halten, was ich dir versprochen habe –«, aber ich weiß schon jetzt, daß ich es nicht tun werde.
Plötzlich fällt mir ein, daß meine eigenen Kameraden auf mich schießen können, wenn ich ankrieche; sie wissen es ja nicht. Ich werde rufen, so früh es geht, damit sie mich verstehen. So lange will ich vor dem Graben liegenbleiben, bis sie mir antworten.
Der erste Stern. Die Front bleibt ruhig. Ich atme auf und spreche vor Aufregung mit mir selbst: »Jetzt keine Dummheit, Paul – Ruhe, Ruhe, Paul –, dann bist du gerettet, Paul.« Es wirkt, wenn ich meinen Vornamen sage, das ist, als täte es ein anderer, und hat so mehr Gewalt.
Die Dunkelheit wächst. Meine Aufregung legt sich, ich warte aus Vorsicht, bis die ersten Raketen steigen. Dann krieche ich aus dem Trichter. Den Toten habe ich vergessen. Vor mir liegt die beginnende Nacht und das bleich beleuchtete Feld. Ich fasse ein Loch ins Auge; im Moment, wo das Licht erlischt, schnelle ich hinüber, taste weiter, erwische das nächste, ducke mich, husche weiter.
Ich komme näher. Da sehe ich bei einer Rakete, wie im Draht sich etwas eben noch bewegt, ehe es erstarrt, und liege still. Beim nächstenmal sehe ich es wieder, es sind bestimmt Kameraden aus unserm Graben. Aber ich bin vorsichtig, bis ich unsere Helme erkenne. Dann rufe ich.
Gleich darauf erschallt als Antwort mein Name: »Paul – Paul –«
Ich rufe wieder. Es sind Kat und Albert, die mit einer Zeltbahn losgegangen sind, um mich zu suchen.
»Bist du verwundet?«
»Nein, nein –«
Wir rutschen in den Graben. Ich verlange Essen und schlinge es hinunter. Müller gibt mir eine Zigarette. Ich sage mit wenigen Worten, was geschehen ist. Es ist ja nichts Neues; so was ist schon oft passiert. Nur der Nachtangriff ist das Besondere bei der Sache. Aber Kat hat in Rußland schon einmal zwei Tage hinter der russischen Front gelegen, ehe er sich durchschlagen konnte.
Von dem toten Buchdrucker sage ich nichts.
Erst am nächsten Morgen halte ich es nicht mehr aus. Ich muß es Kat und Albert erzählen. Sie beruhigen mich beide. »Du kannst gar nichts daran machen. Was wolltest du anders tun. Dazu bist du doch hier!«
Ich höre ihnen geborgen zu, getröstet durch ihre Nähe. Was habe ich nur für einen Unsinn zusammengefaselt da in dem Trichter.
»Sieh mal dahin«, zeigt Kat.
An den Brustwehren stehen einige Scharfschützen. Sie haben Gewehre mit Zielfernrohren aufliegen und lauern den Abschnitt drüben ab. Hin und wieder knallt ein Schuß. Jetzt hören wir Ausrufe. »Das hat gesessen?« – »Hast du gesehen, wie er hochsprang?« Sergeant Oellrich wendet sich stolz um und notiert seinen Punkt. Er führt in der Schußliste von heute mit drei einwandfrei festgestellten Treffern.
»Was sagst du dazu?« fragt Kat.
Ich nicke.
»Wenn er so weitermacht, hat er heute abend ein buntes Vögelchen mehr im Knopfloch«, meint Kropp.
»Oder er wird bald Vizefeldwebel«, ergänzt Kat.
Wir sehen uns an. »Ich würde es nicht machen«, sage ich. »Immerhin«, sagt Kat, »es ist ganz gut, daß du es jetzt gerade siehst.«
Sergeant Oellrich tritt wieder an die Brustwehr. Die Mündung seines Gewehrs geht hin und her.
»Da brauchst du über deine Sache kein Wort mehr zu verlieren«, nickt Albert.
Ich begreife mich jetzt auch selbst nicht mehr. »Es war nur, weil ich so lange mit ihm zusammen liegen mußte«, sage ich. Krieg ist Krieg schließlich. Oellrichs Gewehr knallt kurz und trocken.
10.
Wir haben einen guten Posten erwischt. Mit acht Mann müssen wir ein Dorf bewachen, das geräumt worden ist, weil es zu stark beschossen wird.
Hauptsächlich sollen wir auf das Proviantamt achten, das noch nicht leer ist. Verpflegung müssen wir uns aus den Beständen selbst besorgen. Dafür sind wir die richtigen Leute – Kat, Albert, Müller, Tjaden, Leer, Detering, unsere ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist noch ein mächtiges Glück, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als unsere gehabt.
Als Unterstand wählen wir einen betonierten Keller, zu dem von außen eine Treppe hinunterführt. Der Eingang ist noch durch eine besondere Betonmauer geschützt. Jetzt entfalten wir eine
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