Im Wirbel der Gefuehle
mäßig, doch sie bevorzugte es, zumindest adrett zu sein.
Welche Geschäfte könnten Monsieur Lenoir wohl nach River’s Edge geführt haben?
Sie glaubte kaum, dass ihr Vater eine Unterweisung im Umgang mit Florett oder Degen brauchte, denn er war einst durchaus geübt im Fechten gewesen, auch wenn dies schon einige Jahre zurücklag. Ihm gehörte ihres Wissens auch keine Immobilie an der Passage de la Bourse, welche man als Atelier an einen Fechtmeister hätte vermieten können. Schließlich war er auch zu gutmütig, als dass er einen maitre d’armes engagieren würde, um sich eines Feindes zu entledigen. Natürlich nur für den Fall, dass Monsieur Lenoir überhaupt derart ehrlose Aufträge annahm.
Das Einzige, was sie sich vorstellen konnte, war, dass es sich um die Begleichung einer Ehrenschuld handelte. Ihr Vater war ein feiner Mann, doch er hatte ein Laster, nämlich das Glücksspiel. Bereits seit vielen Jahren ließ er es zu, dass diese Leidenschaft sein Urteilsvermögen trübte. Reines Mutter sprach früher manchmal davon, wie er noch in Zeiten vor ihrer Hochzeit das ein oder andere Vermögen gewann und auch wieder verlor. Erst kürzlich war er wieder einmal erst im Morgengrauen nach Hause gekommen, nach einer durchspielten und durchzechten Nacht, was ihn wohl, wie schon des Öfteren, knapp an Geldmitteln werden ließ.
Reine spürte ein Gefühl der Verachtung und der Missbilligung in sich aufsteigen, als ihr plötzlich klar wurde, was der Grund für den Besuch des Fechtmeisters war. Es handelte sich um nichts anderes als Spielschulden. Bargeld dürfte im Hause ihres Vaters eher knapp bemessen sein, das wusste sie nur zu genau, da sie ja heute Morgen die Buchhaltungsbelege durchgegangen war. Die meisten Plantagenbesitzer bauten in ihrer Bewirtschaftung auf zukünftigen Gewinn, wobei die Erntezeit meist ihre Hoffnungen erfüllte, jedoch nicht unbedingt jedes Mal. Nur eine einzige Ernte, die durch Trockenheit, eine Insektenplage, Krankheiten oder Unwetter zerstört wurde, konnte schon der Ruin des Landwirtes sein. In so einem Fall halfen dann nur noch gute Freunde oder entgegenkommende Banken, die eine letzte Rettung möglich machten.
Ihr Vater hatte bisher in Bezug auf die Wahl seiner Freunde und Geschäftsbekanntschaften immer ein glückliches Händchen bewiesen. Er selbst war aber auch ein unbeschwerter und gutmütiger Mensch, der sich großzügig zeigte, wenn sich jemand in finanziellen Schwierigkeiten befand, sofern er bei Kasse war. Unabhängig davon, ob er beim Kartenspiel gewann oder verlor, er hatte kaum Feinde und galt als umgänglich und freundlich; für ihn das Geheimnis eines guten und erfüllten Lebens, wie er immer wieder betonte.
Die raue Wirklichkeit und ihr lieber Herr Papa waren nicht immer die besten Freunde, denn er hatte die Angewohnheit, unangenehme Fakten so lange wie möglich zu ignorieren. Zudem glaubte er, man solle Damen nicht mit finanziellen Sorgen belasten; und dies angesichts der Tatsache, dass es keine andere als Reine war, die Buch führte und die Ausgaben und Gewinne der Plantage nachrechnete.
Auch wenn ihre Zuneigung zu ihrem Vater groß und unerschütterlich war, so hatte sie doch, was diesen ungewöhnlichen Besuch betraf, ein unangenehmes Gefühl.
Das Verlangen, ganz genau Bescheid zu wissen, wie es um die Angelegenheit zwischen ihrem Vater und Monsieur Lenoir bestellt war, wurde mit jedem Augenblick, der verging, immer drängender. Sie fühlte Erleichterung, als Alonzo endlich in ihrem Zimmer erschien und ihr zu verstehen gab, dass sie auf der Veranda verlangt würde.
Der Besucher und ihr Vater erhoben sich kurz, als sie näher kam, ließen sich dann aber wieder auf ihren Stühlen nieder, während Reine sich einen Korbsessel nahm und mit im Schoß gefalteten Händen diskret neben sie setzte. Ihr Vater erinnerte in blumigen Worten an die erste Begegnung Lenoirs mit seiner Tochter und drückte seine Dankbarkeit gegenüber seinem Gast aus, der Reine und Marguerite damals auf der Straße vor schwerwiegenden Verletzungen bewahrt hatte. Nachdem er diesen Vorfall allen nochmals ins Gedächtnis gerufen hatte, wurde er auf einmal ungewohnt schweigsam und ließ, die Stirn in Falten gelegt, den Blick seiner müden blauen Augen zwischen dem Besucher und Reine hin- und herschweifen. Versonnen schaute er über das Geländer der Veranda zu den sich bewegenden Sonnenflecken unter den alten Eichen. Schließlich blickte er erneut seinen Besucher an, schürzte die Lippen und holte
Weitere Kostenlose Bücher