Im Wirbel der Gefuehle
tief Luft.
Ihr Vater wurde unzweifelhaft älter, wie Reine mit einem bangen Gefühl bemerkte. Leberflecken zeichneten sich auf seinen Handrücken ab, seine Gesichtszüge waren von tiefen Falten geprägt, und sein ehemals dunkles Haar war bereits von grauen Strähnen durchzogen. Als junger Mann noch ein Bon Vivant, heiratete er relativ spät, sodass er bei ihrer Geburt schon fast vierzig Lenze zählte. Die Ereignisse der letzten Jahre hatten zudem ihren Tribut gefordert, sodass sich die Leichtigkeit seiner Schritte verlor und das beständige Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. Teilweise war auch sie dafür verantwortlich, das wusste sie ganz genau.
»Nun, Papa?«, fragte sie nach einer Weile. »Wolltest du mir irgendetwas mitteilen?«
»Ja, in der Tat, da gäbe es eine Angelegenheit ... die ich erzählen muss ... Ach, es ist eine unglückselige Geschichte, und es tut mir furchtbar leid. Es betrifft dich mehr als jeden anderen, und es scheint mir das Beste zu sein, dich als Erste darüber zu informieren, sodass du dann ... Ach, Cherie !«
Reine war in diesem Moment nicht mehr nur besorgt, sondern äußerst alarmiert. Sie lehnte sich ein wenig nach vorne. »Was ist los? Ist irgendetwas passiert? Bitte sag es mir sofort!«
Ihr Vater öffnete den Mund, und nach kurzem Zögern schloss er ihn mit einem Kopfschütteln wieder. Reine, die den Blick des Fechtmeisters auf sich spürte, drehte sich zu diesem um, in der Hoffnung, von ihm über die Angelegenheit aufgeklärt zu werden. Zum Glück enttäuschte er sie nicht.
»Was Ihr Vater versucht, Ihnen zu erzählen, Madame Pingre«, sagte er, und seine Stimme war ebenso neutral wie der Blick aus seinen schwarzen Augen, »ist, dass er den Rechtsanspruch auf dieses Anwesen verloren hat. Das Haus, die Möblierung, die Arbeiter und das dazugehörigen Land gingen über den Spieltisch. Sein Verlust ist mein Gewinn. Ich bin der neue Eigentümer von River’s Edge.«
Seine Worte waren eindeutig, doch ihr Verstand weigerte sich, die Bedeutung des Gesagten anzuerkennen. Das war schlimmer, weitaus schlimmer, als sie befürchtet hatte. »Was? Was haben Sie soeben gesagt?«
»Es stimmt«, antwortete ihr Vater stattdessen in einem Ton tiefer Trauer, während sie sich zu ihm umdrehte. »Alles ist dahin. Das Stadthaus im Vieux Carre ebenfalls.«
»Es tut mir leid«, beschwichtigte Lenoir.
Reine schloss die Augen, unfähig, das sicherlich geheuchelte Bedauern und seine unbeweglichen Gesichtszüge zu ertragen. »Glücksspiel«, stieß sie halb flüsternd hervor, ohne ihre Wut zu verbergen.
»Nun ja.« Ihr Vater fand seine Sprache wieder, jetzt, da die furchtbare Neuigkeit heraus war. »Meine Pechsträhne war unglaublich, so etwas habe ich noch nie erlebt. Ich war absolut sicher, dass sich mir im Laufe der Nacht das Glück wieder zuwenden würde, doch leider war dem nicht so.« Er zuckte resigniert mit den Schultern.
»Wie konntest du nur?«, fragte sie vor Wut bebend. »Hast du denn dabei überhaupt nicht an mich oder Marguerite gedacht? Was Maman angeht, so habe ich keine Ahnung, wie du ihr das beibringen willst.«
Ein Schatten von Beklommenheit huschte über das Gesicht ihres Vaters. »Die Sache steht nicht so schlimm, wie es den Anschein hat.«
»Wie schlimm könnte es denn noch sein? Wir werden hier ausziehen müssen und wissen nicht, wohin. Natürlich könnten wir für ein paar Tage ins Hotel gehen, aber wenn du so viel verloren hast ...« Reine hielt inne und presste ihre Lippen zusammen, um sich selbst davor zu bewahren, noch mehr zu sagen. Es ging ihr gegen den Strich, vor ihrem Gast das ganze Ausmaß der Katastrophe auszubreiten. On lave son linge sale en famille, schmutzige Wäsche wird in der Familie gewaschen, wie die alten Frauen zu sagen pflegten.
Ihr Vater kratzte sich im Nacken, während sein Blick peinlich berührt wirkte. »Es werden keine allzu drastischen Maßnahmen vonnöten sein. Monsieur Lenoir und ich haben eine Absprache getroffen, die ganz gut funktionieren müsste.«
»Hinsichtlich ein wenig mehr Zeit, um unsere Angelegenheiten zu ordnen, meinst du das? Ich bin sicher, dass dies sehr zuvorkommend von ihm ist, aber es ändert nicht wirklich etwas an der jetzigen Situation.« Sie warf dem Fechtmeister einen vernichtenden Blick zu. Je mehr sie über die Sache nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr, dass ihr Vater alles aufs Spiel gesetzt hatte, erst recht gegen diesen Mann. Dies war einfach merkwürdig, außer natürlich, die beiden hatten
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