Im Zauber der Gefuehle

Titel: Im Zauber der Gefuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas

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ihm zu wenden. »Wie denn dann?«
    Da lockerte sich seine gesamte Körperhaltung, und er schien sich in das Unvermeidbare zu fügen. Mit einer Schulter lehnte er sich gegen die Wand, sodass er Lottie nur halb zugedreht war, sein Blick war auf einen entfernten Punkt am Boden vor ihm gerichtet.
    »Ich wurde auf das Schiff geschickt, weil ich für den Tod eines Mannes verantwortlich war. Damals war ich vierzehn. Ich hatte mich einer Straßenräuberbande angeschlossen, und ein alter Mann starb, als wir seine Kutsche überfielen. Kurz danach wurde uns allen der Prozess gemacht, und wir wurden verurteilt. Ich schämte mich zu sehr, um zu sagen, wer ich war - und nannte mich einfach John Sydney. Die anderen vier Bandenmitglieder kamen einer nach dem anderen an den Galgen, aber wegen meines Alters wurde mein Strafmaß gemildert: Zehn Monate an Bord der Scarborough .«
    »Sir Ross war der Polizeichef, der für deine Verurteilung verantwortlich war«, murmelte Lottie, die sich an Sophias Worte erinnerte.
    Ein gequältes Lächeln umspielte Nicks Mund. »Damals konnten wir beide noch nicht ahnen, dass uns das Schicksal eines Tages zu Schwagern machen würde. Sobald ich das Schiff betreten hatte, wurde mir klar, dass ich den ersten Monat nicht überleben würde. Ein schneller Tod am Galgen wäre im Vergleich dazu eine Gnade gewesen. Sie nannten das Schiff Duncombes Akademie. Duncombe war der kommandierende Offizier an Bord. Die
    Hälfte seiner Gefangenen war gerade vom Gefängnisfieber dahingerafft worden. Die Glücklichen.
    Das Schiff war kleiner als diejenigen, die vor der Küste vor Anker lagen. Es war für hundert Gefangene gemacht, doch sie zwängten noch einmal halb so viele in einen großen Raum unter Deck, der so niedrig war, dass nicht einmal ich ganz aufrecht stehen konnte. Die Gefangenen schliefen auf dem Fußboden, und jeder hatte zum Schlafen eine Fläche von ein Meter achtzig mal einem halben Meter. Die meiste Zeit waren wir angekettet, und das ständige Klappern der Ketten war kaum zu ertragen.
    Doch am schlimmsten war der Gestank. Es wurde uns nur selten gestattet, uns zu waschen - Seife war Mangelware, und abduschen mussten wir uns mit Meerwasser. Außerdem gab es keine richtig Lüftung, nur ein paar Luken auf der dem Meer zugewandten Seite. Folglich wurde der Gestank so bestialisch, dass er die Wachen übermannte, die am Morgen die Bodentüren öffneten — einmal sah ich, wie einer von ihnen in Ohnmacht fiel. Während der Zeit, in der wir eingesperrt waren vom frühen Abend, bis die Türen bei Morgengrauen wieder geöffnet wurden, waren die Gefangenen sich selbst überlassen, ohne dass Wachen oder Offiziere ein Auge auf sie gehabt hätten.«
    »Was taten die Gefangenen in dieser Zeit?«, erkundigte sich Lottie.
    Seine Lippen verzogen sich zu einem barbarischen Grinsen, das ihr einen Schauder über den Rücken jagte. »Sie spielten, kämpften, schmiedeten Fluchtpläne und verübten Notzucht.«
    »Notzucht?«
    Nick warf ihr einen kurzen Blick zu, als wundere ihn ihre Frage. »Das bedeutet Vergewaltigung.«
    Verwirrt schüttelte Lottie den Kopf. »Aber ein Mann kann doch nicht vergewaltigt werden.«
    »Ich kann dir versichern«, meinte Nick hämisch, »dass ein Mann durchaus vergewaltigt werden kann — eine Erfahrung, die ich tunlichst vermeiden wollte. Unglücklicherweise waren Jungen meines Alters — vierzehn, fünfzehn — die häufigsten Opfer. Ich war lediglich einige Zeit sicher, weil ich mich mit einem anderen Jungen angefreundet hatte, der ein wenig älter und außerdem viel zäher war als ich.«
    »Nick Gentry?«
    »Ja. Er passte auf mich auf, während ich schlief, und brachte mir bei, wie ich mich verteidigen konnte ... er brachte mich dazu, zu essen, um bei Kräften zu bleiben, selbst wenn die Lebensmittel so verschimmelt waren, dass ich sie kaum hinunterbrachte. Unsere Gespräche hinderten mich daran, den Verstand zu verlieren. Ohne ihn hätte ich keine Chance gehabt, und das wusste ich auch. Ich hatte panische Angst vor dem Tag, an dem er das Schiff verlassen würde. Sechs Monate, nachdem ich an Bord der Scarborough gekommen war, teilte Gentry mir mit, dass er in einer Woche entlassen werden würde.« Lotties Herz verkrampfte sich, als sie seinen gehetzten Gesichtsausdruck sah. »Nur noch eine Woche, nachdem er zwei Jahre in dem Höllenloch überlebt hatte. Ich hätte mich für ihn freuen sollen, doch ich tat es nicht, sondern zerbrach mir nur den Kopf über mein eigenes Leben, das keinen