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Im Zauber der Gefuehle

Titel: Im Zauber der Gefuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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Pfifferling mehr wert sein würde, sobald er fort war.«
    Er hielt inne, während immer tiefer vergrabene Erinnerungen in ihm emporstiegen.
    »Was geschah dann?«, fragte Lottie leise. »Erzähl es mir.«
    Sein Gesichtsausdruck wurde leer, da seine Seele sich fest um das Geheimnis gelegt hatte und es nicht mehr hergeben wollte. Ein eigenartiges, kaltes Lächeln umspielte seine Lippen, als er voller Selbstverachtung sagte: »Ich kann nicht.«
    Lottie musste sich gewaltsam zurückhalten, um nicht aufzuspringen und zu ihm zu laufen. Heiße, ungeweinte Tränen brannten ihr in den Augen, als sie seine dunkle, umschattete Gestalt anstarrte. »Wie kam Gentry ums Leben?«, wollte sie wissen.
    Er schluckte und schüttelte den Kopf.
    Im Angesicht seines inneren Kampfes suchte Lottie nach etwas, das den Ausschlag geben könnte. »Hab keine Angst«, flüsterte sie. »Ich werde bei dir bleiben, egal, was passiert ist.«
    Da wandte er das Gesicht ab und blinzelte heftig, als sei er eben nach zu langer Zeit im Dunkeln einem strahlenden Licht ausgesetzt gewesen. »Eines Nachts fiel einer der Gefangenen über mich her. Sein Name war Styles. Er zog mich in eine Ecke, während ich schlief, und hielt mich am Boden fest. Ich wehrte mich wie besessen, aber er war doppelt so groß wie ich, und es gab niemanden, der eingeschritten wäre. Alle hatten Angst vor ihm. Ich rief nach Gentry, er solle mich von dem Bastard befreien, bevor es ihm gelänge ...« Er brach ab, und seiner Kehle entrang sich ein seltsames Lachen, das bar jeden Humors war.
    »Und kam er dir zu Hilfe?«, fragte Lottie.
    »Ja ... der Dummkopf.« Sein Atmen verwandelte sich in leises Schluchzen. »Er wusste, dass es keinen Zweck hatte, auch nur einen Finger für mich krumm zu machen. Wenn es mich nicht in jener Nacht erwischte, würde es spätestens nach seiner Entlassung so weit sein. Ich hätte ihn nicht um seine Hilfe bitten und er hätte sie mir nicht gewähren dürfen. Doch er warf sich auf Styles und ...«
    Wieder herrschte lange Zeit Schweigen. »Starb Nick während des Kampfes?«, brachte Lottie schließlich hervor.
    »Im Laufe der Nacht. Indem er mir zu Hilfe geeilt war, hatte er sich in Styles einen Feind gemacht, und die Vergeltung ließ nicht lange auf sich warten. Kurz vor dem Morgengrauen erdrosselte Styles Nick im Schlaf. Als ich merkte, was vor sich ging, war es bereits zu spät. Ich ging zu Nick hinüber ... versuchte ihn zu wecken, ihn zum Atmen zu bringen, doch er rührte sich nicht. In meinen Armen wurde er kalt.« Sein Kinn zitterte, und er räusperte sich geräuschvoll.
    Lottie konnte es nicht dabei bewenden lassen, ohne die ganze Geschichte zu erfahren. »Wie hast du es geschafft, die Rollen mit Gentry zu vertauschen?«
    »Jeden Morgen kam der Schiffsarzt mit einem der Wächter, um die Leichen der Männer abzutransportieren, die während der Nacht gestorben waren - an einer Krankheit, Unterernährung oder etwas, das sie »Niedergeschlagenheit der Sinne< nannten. Diejenigen, die mit dem Sterben noch nicht ganz fertig waren, wurden ins Vorderdeck gebracht. Ich tat so, als sei ich krank, was mir zu dem Zeitpunkt nicht sonderlich schwer fiel. So brachten sie uns beide an Deck und fragten mich nach meinem Namen, und ob ich wisse, wer der Tote sei. Die Wächter kannten kaum einen der Gefangenen — für sie waren wir alle gleich. Und ich hatte die Kleider mit ... mit seiner Leiche getauscht, sodass sie keinen Grund hatten zu bezweifeln, dass ich, wie ich ihnen erklärte, Nick Gentry sei und der tote Junge John Sydney. Die nächsten Tage blieb ich im Vorderdeck und stellte mich krank, um nicht zurück zu den übrigen Gefangenen geschickt zu werden. Die übrigen Männer, die dorthin gebracht worden waren, waren zu krank oder schwach, um sich darum zu scheren, wie ich mich nannte.«
    »Und bald darauf wurdest du entlassen«, meinte Lottie leise, »an Gentrys Stelle.«
    »Er wurde in einem Massengrab in der Nähe des Hafens verscharrt, während ich auf freien Fuß kam. Und mit der Zeit ist sein Name wirklicher für mich geworden als mein eigener.«
    Lottie war überwältigt, und es wunderte sie nicht mehr, weshalb er Nick Gentrys Namen hatte beibehalten wollen. Er musste das Gefühl gehabt haben, wenigstens einen Teil des Jungen am Leben zu erhalten, wenn sein Name weiter existierte. Der Name war für ihn ein Talisman, ein Neuanfang gewesen. Sie konnte sich gar nicht ausmalen, wie groß die Scham und die Schuldgefühle waren, die er mit seiner wahren Identität

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