Im Zauber der Gefuehle
abbringen, das konnte sie ihm an den Augen ablesen. »Miss Miller ...«
»Lebt wohl«, wiederholte sie freundlich. »Ich wünsche Euch einen angenehmen Aufenthalt, Mylord.« Dann schlüpfte sie schnell ins Haus, wobei sie seinen brennenden Blick im Nacken spürte.
Sobald Lottie ihr Zimmer erreicht hatte, sperrte sie die Tür hinter sich zu und stieß einen Seufzer aus. Seit sie nach Stony Cross Park gekommen war, hatte es schon etliche Annäherungsversuche von Seiten der männlichen Gäste gegeben. Bis zum heutigen Abend war sie nie versucht gewesen nachzugeben, egal, wie gut aussehend oder charmant die Männer gewesen waren. Nach ihren Erlebnissen mit Lord Radnor wollte sie nie wieder etwas mit Männern zu tun haben.
Wäre Radnor gütig und nicht berechnend, geduldig und nicht herrisch gewesen, hätte Lottie sich früher oder später mit dem Gedanken abgefunden, ihn heiraten zu müssen. Radnors Absichten waren jedoch von Anfang an klar gewesen. Er wollte jeden Aspekt ihres Lebens kontrollieren und hatte vor, jede Facette ihrer Persönlichkeit zu zerstören und mit einem Wesen zu ersetzein, das er nach seinem Willen zu formen gedachte. Ihn zu heiraten wäre schlimmer gewesen als der Tod.
Ihre Eltern hatten es vorgezogen, die Augen vor dem Offensichtlichen zu verschließen, da sie völlig auf Radnors finanzielle Unterstützung angewiesen waren. Lottie hatte sie nur ungern verlassen, da sie sich der Konsequenzen für ihre Eltern nur allzu bewusst war. Regelmäßig wurde sie von Schuldgefühlen geplagt und warf sich vor, dass sie sich um ihrer Eltern willen Lord Radnor hätte opfern müssen. Letztendlich hatte aber ihre Abscheu überwogen, sie war von zu Hause weggelaufen und das Schicksal hatte sie nach Hampshire verschlagen.
Wie zu erwarten gewesen war, forderte ihre Freiheit einen hohen Preis. Oft erwachte sie schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd aus einem Albtraum, in dem man sie zurück zu Radnor geschleppt hatte. Es war ihr nicht vergönnt, auch nur einen Augenblick zu vergessen, dass er Leute auf sie angesetzt hatte und jegliches Gefühl der Sicherheit pure Einbildung war. Obgleich ihr Leben auf Stony Cross Park angenehm verlief, war sie hier genauso gefangen wie die Vögel in der großen Voliere, deren Flügel gestutzt waren, um sie zu Wesen zu machen, die weder in der Luft noch auf der Erde zu Hause waren. Egal, wohin sie ging oder was sie tat — eines Tages würde man sie finden. Dieses Wissen hatte in ihr Gefühle des Verlorenseins und des Trotzes hervorgebracht und dazu geführt, dass sie niemandem traute. Nicht einmal einem gut aussehenden jungen Mann mit unvergesslichen blauen Augen.
Anstatt zu der Feier zurückzukehren, ging Nick auf sein Zimmer. Seine Truhe und die Reisetasche waren bereits von Dienstboten ausgepackt worden.
Ungeduldig entledigte sich Nick seines Jacketts, der Weste und der grauen Seidenkrawatte. Nachdem er sich das Hemd ausgezogen hatte, knüllte er es in der Hand zusammen und trocknete sich den Schweiß ab, der sich in einem dünnen Film auf seinem Gesicht, dem Hals und der Brust gebildet hatte. Dann ließ er den durchtränkten Leinenstoff zu Boden fallen und setzte sich auf das Bett, das in eine Wandnische gegenüber der Tür gebaut war. Er streifte sich Schuhe und Strümpfe ab, legte sich nur in seiner schwarzen Hose zurück und starrte die holzverkleidete Decke an.
Endlich konnte er Radnors Besessenheit nachvollziehen.
Charlotte Howard war die bezauberndste Frau, die ihm je begegnet war. Sie strahlte eine bemerkenswerte Willensstärke aus. Ihr Körper, ihr Antlitz, jede Einzelheit an ihr war eine vollendete Mischung aus Zartheit und Kraft. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als in diese pulsierende Wärme einzutauchen, kraftvoll in sie zu stoßen, bis sich ein Gefühl wohliger Harmonie in ihnen ausbreitete, und sein Gesicht in den geschmeidigen Rundungen ihrer Brüste zu vergraben. Er malte sich aus, wie sie ihn entspannt und glücklich anlächelte, die Haut noch warm und gerötet von seinen Berührungen, während sie zusammen im Bett lagen.
Kein Wunder, dass Radnor sie wollte. Doch mit seinen gnadenlosen Versuchen, sie ganz zu besitzen, würde der Graf bald all das zerstört haben, das sie so begehrenswert machte.
Nick wusste, dass es leicht sein würde, mit Charlotte nach London zu entschwinden, noch bevor die Westcliffs mitbekamen, was vor sich ging. Wahrscheinlich sollte er es gleich am Morgen tun und so das Überraschungsmoment gänzlich auf seiner Seite
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