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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Selbstbeherrschung erbebte Susanoo: Ein Schrei drang aus Kubichis Kehle, ein lang anhaltender, schriller Ruf, der Stimme eines Vogels ähnlich. Susanoo hatte diesen Schrei schon einmal vernommen, damals als sie, an die Schultern eines Schwarzbären geklammert, den Angriff auf das Tungusenheer leitete. Der Schrei drang ihm durch Mark und Bein, schwang sich in den Himmel, kreiste über den schwarzen Wäldern, den tief verschneiten Bergen …
    Dann - plötzlich Stille. Der Schrei verstummte. Nichts war mehr zu hören als das Prasseln des Feuers, das leise Klirren des Zaumzeugs. Die Wölfe duckten sich im Gestrüpp; ihre hellen Augen spähten starr in die Richtung, aus der der geheimnisvoll schwingende Ton gekommen war. Noch einmal füllte Kubichi die Lungen mit Luft und ließ den Schrei in den Himmel steigen. Als der gespenstische Ruf verklungen war, taumelte Kubichi erschöpft zurück und lehnte sich an einen Felsen. Keuchender Atem hob und senkte ihre Brust. Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. »Die Bären haben meinen Befehl vernommen. Bald werden sie hier sein …«
    Die Zeit verging. Der Holzstoß verbrannte und die Wölfe fassten neuen Mut. Sie krochen bis an den Rand des Feuers heran und setzten dann mit gewaltigem Schwung über die Glut hinweg. Die Krieger erschlugen sie mit ihren Schwertern und Speeren. Die Kälte nahm ständig zu. Eine dünne Eisschicht bildete sich auf den Zweigen. Die aufgewirbelten Schneekristalle drohten das Feuer zu löschen. Die Gesichter der Männer waren grau vor Erschöpfung. Ihre Bewegungen wurden ungeschickt und langsam. Der Schnee drang unter ihre Kleidung und schmolz an der Körperwärme, sodass ihnen kalte Tropfen über die Haut liefen.
    Kubichi schien die Kälte nicht zu spüren. Sie horchte lange Zeit in die Ferne und stellte die Windrichtung fest. Auf ihren weißen Fellen schimmerte der Schnee wie glitzerndes Geschmeide. Unvermittelt fühlte Susanoo ihre Hand auf der seinen und wunderte sich, denn sie hatte sich ihm genähert, ohne dass irgendetwas, nicht einmal das Schleifen ihres Umhanges auf dem Boden, ihn auf sie aufmerksam gemacht hätte.
    Â»Hörst du?«, flüsterte sie.
    Susanoo lauschte angestrengt; er hörte nur sein Herz, das gegen die Rippen pochte. Er senkte den Blick auf die Frau an seiner Seite. Sie hielt die Augen halb geschlossen. Das kaum angedeutete, träumerische Lächeln verklärte wie von innen her ihre Züge. Dann hob sie die Lider und bezog ihn in ihr Lächeln ein. »Sie kommen!«, hauchte sie.
    Auf einmal wieherte Kuri-Uma schrill und voller Entsetzen. Susanoo fuhr herum, sah den Hengst hoch aufgerichtet an seiner Leine zerren, während sich die anderen Pferde verstört aneinanderdrängten. Die Stallburschen stürzten zu den Tieren und verkürzten die Halfterriemen. Warnendes Kläffen stieg aus der Finsternis. Die Wölfe hatten nicht nur die Angst der Pferde jenseits des Feuers gespürt, sondern auch etwas von deren Ursache: ein Knacken im Unterholz, ein leichtes Vibrieren des Waldbodens. Unterhalb des Hanges begannen sich die Zweige und Ranken zu bewegen und zerstäubender Schnee fiel glitzernd von den Bäumen. Die Pferde wieherten in höchster Erregung. Das Weiße ihrer Augen leuchtete im Dunkeln. Die Erschütterungen wurden stärker; sogar ein menschliches Ohr konnte ein Geräusch von schleichenden Bewegungen im Dickicht vernehmen. Die Männer umklammerten ihre Waffen, schrien sich an und rannten hin und her. Sie fürchteten sich nicht vor einem gleichartigen Gegner, aber das geheimnisvolle Unbekannte, das sich in der Nähe bewegte und den Boden wie von Trommelwirbeln erschütterte, raubte ihnen ihre Besonnenheit.
    Â»Genug!«, brüllte Susanoo plötzlich. Alle erstarrten, als seine kraftvolle Stimme ertönte. Er stand vor ihnen, beide Füße tief im Schnee versenkt. Sein schwarzer Mantel schimmerte blutrot im Feuerschein. »Wenn ihr mit eurem Leben davonkommen wollt, dann rührt euch nicht von der Stelle. Die Bären werden euch nichts tun, wenn ihr sie nicht reizt. Keine Bewegung! Keine Furcht! Verstanden …?«
    Einige Atemzüge lang standen die Männer wie gelähmt. Dann verneigten sie sich und zogen sich wie befohlen zurück. Susanoo wandte sich schroff ab und konzentrierte sich auf die Geräusche des Waldes. Er hörte, wie das Kläffen der Wölfe in

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