Im Zeichen der blauen Flamme
sie. »Irgendetwas wird sich ereignen. Ich fühle es â¦Â«
Seine Kehle wurde eng; er wusste keine Antwort, und so küsste er sie stattdessen. Bald schlief sie ein. Und obgleich ihre Wärme ihn durchströmte, fühlte er, wie etwas Kaltes, Beklemmendes von seiner Seele Besitz nahm. Wenn ein Mann eine Frau liebt und weiÃ, dass sie in der nächsten Zeit ein Kind zur Welt bringen wird, lernt er schnell, Vorahnungen und Warnungen zu beachten. Er spürte die Gefahr mit allen Fasern seines Seins. Selbst die Luft, die er einatmete, schien von einem Beben erfüllt, das spürbar war wie ein Flügelschlag. So wachte er, während sie schlief, um sie vor diesem unbestimmten Grauen zu beschirmen. Bald sah er durch die Zeltklappe den Morgenstern über den Baumwipfeln schimmern, doch er fand weder Frieden noch Schlaf â¦
18
D er alte Ainu, der an der Flussmündung lebte, betrachtete sorgenvoll den Himmel. Er wusste, ein Sturm würde aufkommen. Der Himmel hatte eine düstergelbliche Färbung angenommen und in der stillen, drückenden Luft hörte er seine eigenen Atemzüge.
Der Alte hieà Kamakui. Seine Frau war schon lange gestorben. Er lebte vom Fallenstellen und Fischen. Wenn seine Beute reichhaltig war, machte er sich auf den Weg nach Tatsuda. Er brachte den Kriegern Wildbret oder Tierfelle, die er gegen Korn, Tabak und Reis eintauschte. Er hatte seine Scheu vor den Sisamu verloren, doch er vermied es, die Festung zu betreten. Er fürchtete, die Mauern könnten ihm auf den Kopf stürzen.
Der Alte hatte keine eigentliche Behausung: Im Sommer lebte er im Freien, im Winter baute er sich einen Unterschlupf aus Zweigen und Baumrinde. Er war klein, hager und flink. Buschige Brauen überschatteten seine tief liegenden Augen. Kleine Blätter und Rindensplitter hingen in seinem weiÃen, verfilzten Bart, was die Sisamu zum Lachen brachte. Sie riefen ihm Scherze zu, die er nicht verstand.
Kamakui war beunruhigt: Die Frühlingsnächte waren noch kalt, und er fürchtete, dass der Sturm seinen Unterschlupf zerstören könnte. Er wickelte seine Salz- und Reisvorräte sowie seine Feuersteine in weiche Rinde ein und begann, an einer geschützten Stelle ein Loch zu graben. Auf einmal hob er den Kopf und lauschte: Am Vibrieren des Bodens bemerkte er das Herannahen einer Reitergruppe. Vorsichtig spähte er durch die Büsche. Das Klopfen der Hufe war jetzt deutlich zu hören. Als die Pferde in Sichtweite kamen, kroch Kamakui aus seinem Versteck. Er kannte die Reiter. Ihr Anführer, Goro, gehörte der königlichen Wache an. Er war ein derber, sehniger Mann. Seine Hände und FüÃe waren riesig und seine Arme reichten ihm fast bis zu den Knien. Er trug eine Bronzeausrüstung und einen ledernen Helm. Ein groÃer, schwerer Bogen hing ihm über der Schulter. Er lenkte sein Pferd geradewegs auf den Alten zu.
»Da bist du ja«, sagte er ohne Umschweife. »Wir haben eine wichtige Botschaft für dich. Sie kommt von Seiner Allerhöchsten Majestät persönlich.«
Der Alte legte die Stirn in Falten und schwieg. Er bezweifelte, dass der König der »Sisamu« von seiner Existenz unterrichtet war.
Goro fuhr fort: »Der Schwarze Rabe, der Sohn des Porunnesipa, weilte seit vier Monden in unserer Festung als hochgeschätzter Gast Seiner Allerhöchsten Majestät. Doch in der vergangenen Nacht ist er einem bösen Fieber erlegen. Der König, der ihm seine besondere Gunst schenkte, ist sehr betrübt.« Er schwieg bedeutungsvoll.
Der Alte nickte stumm. Das war eine schlimme Nachricht.
Goro sprach weiter: »Seine Allerhöchste Majestät hat angeordnet, dass der Verstorbene zum Kunne-Iomante, dem Heiligen Berg, gebracht wird, damit seine Angehörigen die Riten an ihm vollziehen können. Dir jedoch befiehlt er, die Nachricht von Karasâ Hinscheiden seinem Kotan zu überbringen.«
Er öffnete die Hand und reichte ihm einen Gegenstand. Kamakui erbebte: Es war ein Siegelring, wie jeder Ainu im heiratsfähigen Alter ihn von seinem Vater erhält. Der Ring, meist aus Kupfer, trug das Wahrzeichen seines Kotan. Dieser Ring jedoch war aus reinem Silber und das eingeritzte Symbol stellte den Abdruck einer Bärentatze dar. Einzig die Familie des Porunnesipa hatte das Recht, dieses Wahrzeichen zu tragen. Es war kein Zweifel mehr möglich.
Kamakui nahm den Ring mit zitternden Fingern und hob ihn ehrfurchtsvoll
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