Im Zeichen der blauen Flamme
Wand. Sie trugen ihre nachenförmigen Kopfbedeckungen und den Wickelüberwurf mit karminrotem, weiÃem oder dunkelblauem Muster. Ihre Halsketten waren aus Bärenkrallen, die Armreifen und Schmuckspangen aus Muscheln und Türkisen. Susanoos Aufmerksamkeit richtete sich auf ihre seltsamen Standarten aus Tierhäuten, die Wahrzeichen der vier bedeutendsten Kotan: der Kotan des Hirsches, des Fuchses, des Dachses und des Bären, dem Kubichi angehörte. Langsam und drohend glitten die Schatten der Standarten über die wehenden Gräser, als sich drei Männer und eine Frau aus der Menge lösten und auf die Reiter zukamen. Alle - bis auf die Frau - trugen sie die Bärenfelle der »Ottena«, der Häuptlinge.
»Ich werde zu ihnen sprechen«, sagte Kubichi halblaut. »Sie sind von meinem Blut.«
In tiefem Schweigen ritt sie den Häuptlingen entgegen. Der Wind trug ihre Stimme herüber. Er hatte inzwischen so viel von der Ainu-Sprache gelernt, dass er ihre Worte verstehen konnte.
»Hier bin ich«, sagte sie stolz, »und jeder, der mich für eine Verräterin hält, soll jetzt sprechen oder für immer schweigen.« Ihr Blick wanderte über die Häuptlinge. »Du, Ikanui?« Der Angeredete trat vor. Er war sehr groà und auffallend hellhäutig. Sein schwarz glänzender Bart hing ihm bis auf die Brust. Obgleich er von schwerer Gestalt war, bewegte er sich sehr geschmeidig.
»Dein Herz gehört nicht mehr deinem Volk, es gehört unseren Feinden!« Seine Stimme war ein scharfes Rasseln. »Wenn die Sisamu durch das Land der Aiu-Utari ziehen, lassen sie keine Frucht auf den Bäumen, kein Blatt an den Büschen, kein Gefäà unzerbrochen, keinen Menschen und kein Tier lebendig.«
Kubichi hielt ihre Stute zurück, die nervös tänzelte, und betrachtete ihn kühl.
»Alle, die hier anwesend sind, wissen, wer ich bin. Ich selber kämpfte gegen die Sisamu und führte die Heiligen Bären an. Doch mein Gemahl, der Herrscher von Izumo, leistete den Eid der Aiu-Utari. Von Emekka, der Hüterin der Bären, empfing er die Weihe unter dem Nordstern.«
Ein dumpfes Murmeln ging durch die Reihen. Da ergriff ein zweiter Mann das Wort. Es war Arinku, der Häuptling vom Kotan des Fuchses. Finster war sein Gesicht wie auch das Feuer seiner tief liegenden Augen. Auffallend lange Arme hingen von seinen breiten Schultern herab.
»Der, den du dir als Gemahl erwähltest, ist Verbündeter des Tungusenherrschers, der unser Volk bedroht.«
Kubichi entgegnete hochmütig: »Er brach sein Bündnis mit Yamatai. Seine Allerhöchste Majestät hat seinen Tod geschworen.«
»Dann ist er ein Verräter!«, schrie heiser Arinku.
Kubichis Augen blitzten. »Hüte deine Zunge!«, zischte sie. »Noch immer bin ich die Herrin der Bären!«
Tinemba, der Häuptling vom Kotan des Dachses, hob die Hand. Sein Gesicht war voller Narben, seine Augen hart und blutunterlaufen. Mit dumpfer Stimme stieà er hervor: »Dein Bruder, der Schwarze Rabe, weilt seit vier Monden bei den Sisamu in Tatsuda. Wir wissen nicht, ob er tot ist oder noch am Leben. Doch seine Treue ist unverrückbar wie ein Felsen in der Erde. Du hingegen hast dem Fürsten von Izumo den Lehnseid geschworen.«
Kubichi hob stolz das Kinn. »Ich bin die Tochter des Porunnesipa, mein erstgeborenes Kind wird über Izumo herrschen!« Eine feindselige Stille breitete sich aus. In trotziger Haltung erwiderte Kubichi den Blick ihrer Stammesgenossen.
Plötzlich brach eine tiefe, klangvolle Stimme das Schweigen. »O ihr tapferen Kinder des Nordsterns! Warum grollt ihr der Herrin der Bären? Warum ruft ihr den Zorn der Götter für sie herbei? Wenn ihr die Wahrheit erkennen wollt, so sucht sie in den Taten der Menschen und nicht in ihren Worten.«
Die Frau, die so gesprochen hatte, kam langsam näher. Sie trug ein hirschledernes Gewand, mit unzähligen Amuletten bestickt. Zwei breite kupferne Brustplatten klirrten bei jeder Bewegung. Ihr faltenloses Gesicht hatte die Farbe dunklen Goldes und die schiefergrauen Haarflechten reichten bis zu den Hüften hinab. Es war Tisina, die »weise Frau« des Kotan der Bären. Gelassen schritt sie auf Susanoo zu und an ihn richtete sie das Wort.
»Kein Fremder vor dir leistete den Eid der Aiu-Utari. Deine Verpflichtung gibt dir das Recht, zu sprechen. Sollten wir Hilfe brauchen, wärst du
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