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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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und Lehrer und Schüler wären als Feinde aneinandergeraten. Denn während seiner Jugend im Exil hat der spätere französische Kaiser an der Schweizerischen Militärschule in Thun unter Dufour eine Ausbildung zum Artilleriehauptmann absolviert.
    Auch nördlich der Alpen verfolgt man den Krieg gespannt. Die Sympathien für Italien werden von der Furcht vor einem Wiedererstarken Frankreichs in Schach gehalten. Immer mehr Politiker und Militärs rufen dazu auf, »den Rhein am Po zu verteidigen«. Der Deutsche Bund steht kurz vor dem Kriegseintritt, wodurch Frankreich eine zweite Front droht. Doch »die unerwartet kurze Dauer des Feldzuges vereitelte die Aussicht auf Beteiligung für unsere Armee«, rekapituliert Generalfeldmarschall von Moltke wenig später, sichtlich enttäuscht.
    Ende April 1859 überschreiten österreichische Truppen die Grenze zum Piemont. Nach kleineren Gefechten kommt es am 4. Juni bei Magenta westlich von Mailand zur ersten großen Schlacht. Die Österreicher unterliegen und weichen bis an den Mincio zurück, der im Südosten des Gardasees entspringt. Franzosen und Italiener sammeln sich weiter westlich am Ufer des Chiese. Zwischen den beiden Heeren liegen dreißig Kilometer Niemandsland.
    »Mein lieber, einziger Engel«: Beinahe täglich schreibt Franz Joseph an seine Frau Elisabeth in Schönbrunn. Ihre Beschwerden nehmen ihn zusätzlich in Anspruch – der Kreislauf, die Nerven, die Schwiegermutter. Halbherzig übernimmt sie die Schirmherrschaft eines Hilfsvereins und richtet ein Spital für Verwundete ein. Auch schickt sie dem Kaiser modernen Lesestoff wie die Illustrierte Über Land und Meer , die später noch eine Rolle spielen wird. Das Vorgehen der Österreicher ist von ständigem Hü und Hott geprägt, unerklärliches Zaudern und überstürzter Tatendrang wechseln einander ab. Auch Napoleon macht trotz seiner Ausbildung beim Schweizer Militär keine glückliche Figur, und nur die Unentschlossenheit des Gegners bewahrt ihn vor einem Fiasko. Mit dem italienischen Oberkommando ist er ebenso zerstritten wie dieses untereinander. Die allgemeine Konfusion betrifft auch die Sanitätsabteilungen. Ein Großteil des medizinischen Materials der französischen Armee ist in Genua geblieben. Manche Regimenter haben überhaupt keine Ärzte, andere noch nicht einmal Krankenpfleger, so dass Militärmusiker für sie einspringen müssen.
    Im Ganzen bietet sich das Bild dreier Armeen, deren ärgster Feind die eigene Führung ist. Bei den Italienern ist die Zahl der Desertionen am höchsten, die der Verluste folglich am geringsten. Auch die Österreicher sehen sich mit etlichen Tausend Fahnenflüchtigen konfrontiert, überwiegend Italiener in ihren Diensten. Einer von ihnen wird unversehens eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Roten Kreuzes spielen – als Dunants Kutscher, der ihn durchs Kampfgebiet fährt. Wäre der Schweizer einige Wochen früher angereist und hätte beispielsweise versucht, nach der Schlacht von Magenta bei Napoleon vorzusprechen, so wäre die Hilfsorganisation wohl nie entstanden. Zwar ist auch hier die Zahl der Opfer hoch – rund 15000 Tote und Verwundete –, doch in Solferino wird sie dreimal höher liegen. Vor allem aber können die Verwundeten mit der Eisenbahn evakuiert werden, und mit Mailand liegt eine Großstadt in der Nähe, die über Krankenhäuser und Vorräte verfügt. Dunant hätte dort sicher ebenfalls geholfen – aber die Not wäre geringer gewesen, und er hätte vermutlich auch keine »Erinnerung an Magenta« veröffentlicht.
    Feindberührung
    Von kleineren Konflikten abgesehen, hat Europa bis dahin vier Jahrzehnte lang keinen Krieg mehr erlebt. Magenta und Solferino werden daher auch zu Laboratorien der Chirurgie, die sich mit neuartigen Verwundungen konfrontiert sieht. Mehrere Schweizer Ärzte eilen nach Italien, um zu helfen. Darunter Louis Appia, einer der späteren Begründer des Internationalen Komitees. Selbst piemontesischer Herkunft, stellt er sich einem Turiner Frauenverein zur Versorgung von Verwundeten zur Verfügung. Innerhalb weniger Wochen sieht er dabei über zehntausend verletzte Soldaten. Auch Hermann Demme, einen angesehenen Arzt aus Bern, zieht es an diesen »großartigen militär-chirurgischen Schauplatz«, der ihn in seiner Auffassung bestärkt, dass die Lehrbücher umgeschrieben werden müssen: »In den letzten Feldzügen waren die Schusswunden derart in den Vordergrund getreten, dass Verletzungen durch blanke Waffen kaum mehr in Betracht

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