Im Zeichen der Wikinger
raucht eine Zigarette«, flüsterte ihm Giordino ins Ohr.
Pitt reckte vorsichtig den Kopf, bis er das Arbeitsdeck überblicken konnte. Giordino hatte gute Augen, zumal bei Nacht.
Eine kaum sichtbare Gestalt, in der Dunkelheit nur in Umrissen zu erkennen, als sie sich bewegte, um an der Zigarette zu ziehen, war über die Reling gebeugt und genoss die Tropennacht. Der Mann wirkte nicht besonders wachsam, sondern eher gedankenverloren.
Lautlos wie ein Geist kletterte Giordino über die Heckreling, hoffte, dass das Rascheln der Palmwedel, die sich im leichten Wind wiegten, das von ihm tropfende Wasser übertönte, während er leise über das Deck tappte, die mächtigen Hände um den Hals des Mannes legte und ihm die Luft abschnürte. Er wehrte sich kurz, dann wurde er schlaff. Nahezu geräuschlos zerrte Giordino den Seeräuber zum Heck und legte ihn hinter eine schwere Winde.
Pitt durchsuchte seine Kleidung und fand ein großes Klappmesser und einen Revolver mit kurzem Lauf. »Wir sind gerüstet«, gab er bekannt.
»Er atmet noch«, sagte Giordino. »Was machen wir mit ihm?«
»Leg ihn auf die Taucherplattform. Dort ist er außer Sicht.«
Giordino nickte, hob den Piraten mühelos über die Reling und ließ ihn auf die Plattform fallen, wo er unmittelbar vor der Kante, nur wenige Zentimeter über dem Meer, liegen blieb.
»Hoffen wir, dass er noch mindestens eine Stunde weiterschläft.«
»Garantiert.« Giordino starrte in die Dunkelheit und suchte das offene Deck ab. »Was meinst du, wie viele an Bord sind?«
»Die NUMA hat zwei ähnliche Arbeitsboote, die etwa genauso groß sind. Normalerweise haben sie eine fünfzehnköpfige Besatzung, können aber mehr als hundert Mann aufnehmen.«
Pitt reichte Giordino das Messer, das dieser mürrisch musterte. »Warum krieg ich nicht die Knarre?«
»Du bist doch derjenige, der sich immer die alten Filme mit Errol Flynn anschaut.«
»Der hatte ein Schwert, kein billiges Schnappmesser.«
»Dann tu einfach so als ob.«
Giordino verkniff sich jedes weitere Murren, während sie vorsichtig über das weitläufige Fracht- und Arbeitsdeck zu einer Luke an der Rückwand des Deckhauses schlichen. Sie war geschlossen – vermutlich wegen der Luftzirkulation, weil drinnen die Klimaanlage auf vollen Touren lief. Spätestens jetzt hätte ihnen mulmig werden müssen. Doch sie fürchteten sich nicht vor dem, was sie erwartete, sondern hatten lediglich Angst davor, dass sie zu spät kommen könnten, um die Männer und Frauen auf der
Deep Encounter
zu retten. Pitt war auf das Schlimmste gefasst, aber er scherte sich nicht darum, wollte es genauso wenig wahrhaben wie die Sorge um das eigene Leben.
Kurz bevor sie zu der Laufplanke kamen, die zwischen den beiden Schiffen ausgelegt war, hielten sie inne und warfen einen verstohlenen Blick durch eines der Bullaugen, aus denen Licht drang. Pitt zählte zweiundzwanzig Seeräuber in einer geräumigen Messe, die Karten spielten, lasen oder vor dem Satellitenfernseher saßen. An den Wänden rundum hingen so viele Waffen, dass man damit eine Revolution hätte vom Zaum brechen können. Keiner der Männer schien mit ungebetenen Besuchern zu rechnen, geschweige denn einen Gedanken darauf zu verschwenden, dass ihre Gefangenen flüchten könnten. Pitt wurde bei ihrem bloßen Anblick unbehaglich zumute. Die Entführer wirkten überaus sorglos, zu sorglos, wenn man bedachte, dass sie fünfzig Geiseln in ihrer Hand hatten.
»Erinnere mich dran, dass ich keinen von diesen Jungs anheure, wenn ich irgendwann mal meine Habseligkeiten bewachen lassen will«, grummelte Giordino.
»Der Kleidung nach zu schließen, sind das eher professionelle Söldner als Piraten«, murmelte Pitt.
Er verbot sich jeden Gedanken daran, die Entführer an Bord ihres eigenen Bootes zur Rechenschaft zu ziehen. Mit einem sechsschüssigen Revolver und einem Messer hatten sie gegen mehr als zwanzig schwer bewaffnete Männer denkbar schlechte Karten in der Hand. Außerdem mussten sie zuallererst feststellen, ob auf dem Forschungsschiff noch jemand am Leben war, und dann die Rettungsaktion in die Wege leiten, falls das überhaupt möglich war. Er und Giordino drückten sich eine Zeit lang flach an die Backbordaufbauten, lauschten und spähten in die Dunkelheit. Als sie nichts Verdächtiges bemerkten, huschten sie lautlos über das Deck. Bis Pitt plötzlich stehen blieb.
Giordino hielt neben ihm inne und flüsterte: »Irgendwas gesehen?«
Pitt deutete auf einen breiten, überstrichenen
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