Im Zeichen des himmlischen Baeren
Ein Speer blitzte auf. Dann, ein dumpfer StoÃ, ein Schrei. Ich fühlte, wie Hände mich packten, mich aufrichteten. Schmerz spürte ich nicht, nur eine seltsame Leere im Kopf. Benommen starrte ich auf den Ainu, der die Reihen meiner Leibwächter durchbrochen hatte. Blut sickerte aus seiner klaffenden Wunde an der Schulter. Neben ihm lag, die Augen weit geöffnet und schwer atmend, Kuchiko. Der WurfspieÃ, den er mit seinem Körper aufgefangen hatte, war ihm zwischen der Verschnürung seines Harnischs tief in die Brust gedrungen.
Ich stand auf schwankenden FüÃen und blickte auf ihn herunter. Worte kreisten in meinem Kopf, aber ich brachte keinen Ton über die Lippen. Ich konnte nicht glauben, dass er sterben würde. Ich kannte ihn schon so lange. Er atmete stoÃweise. Sein dunkles Gesicht mit den tiefen Falten war merkwürdig eingefallen. Ich wusste, dass man den Speer herausziehen musste, um einen raschen Tod herbeizuführen, aber ich konnte mich nicht entschlieÃen, den Befehl zu geben. Endlich vermochte ich zu sprechen. Ich stammelte: »Euch verdanke ich mein Leben.«
Er erwiderte stolz: »War es nicht meine Pflicht?«
Der Boden vibrierte: Susanoos Truppen stürmten von der Ostseite auf die Schlucht zu. Ich sah Kuro-Uma durch das Unterholz brechen. Seine Nüstern waren schaumweià und die schweiÃbedeckten Flanken bebten unter dem Harnisch. Susanoo riss die Zügel zurück und glitt aus dem Sattel. Mit einem Blick vergewisserte er sich, dass ich unverletzt war, und beugte sich dann über Kuchiko. Die beiden Männer blickten sich an.
Kuchiko betastete den Speer, der aus seiner Wunde ragte. Kaum hörbar kamen die Worte über seine Lippen: »Majestät ⦠ich bitte Euch ⦠zieht den Speer jetzt heraus!« Er schloss die Augen und rief leise den Namen der Göttin.
Susanoo presste die Kiefer zusammen. Dann packte er den Speer und zog mit aller Kraft. Ein Blutstrom ergoss sich aus der Wunde. Kuchiko zuckte zusammen und sein Kopf fiel zur Seite. Er war sofort tot.
Susanoos Gesicht war starr, seine Augen blickten ins Leere. Ich spürte, dass er weit weg von hier war und auf den Spuren der Erinnerung wanderte. Vielleicht entsann er sich einer Stadt, die ins Meer versunken war, einer Festung, die Schlamm und Asche verwüstet hatten. Vielleicht sah er Kuchiko hoch aufgerichtet und schweigend hinter einer Frau stehen, deren rot gepudertes Haar in der Sonne schimmerte. Ihr Antlitz war weià und schön und unerbittlich und sie hielt ein Schwert in der Hand â¦
Langsam wandte er sich ab. Sein Blick kehrte in die Gegenwart zurück, richtete sich auf die Männer der Leibgarde, deren Gesichter Zorn und Schmerz widerspiegelten. Dann sah er mich an, sah die Tränen, die mir über die Wangen liefen, und seine Stimme klang seltsam rau. »Weine nicht. Der Tod ist nur eine vorüberziehende Wolke, die wir auf unserer Reise zu der Sonnengöttin durchschreiten müssen.«
Wir standen schweigend, als abermals das gespenstische, unglaublich traurige Heulen aus den Tiefen der Wälder laut wurde.
»Sie greifen erneut an â¦Â«, sagte ich erschauernd.
»Ja«, sagte er und sah an mir vorbei in das Blau des Himmels.
Ich folgte seinem Blick. Oben auf dem Felsgrat, in schwindelerregender Höhe, stand im Gegenlicht eine einzelne, riesenhafte Gestalt. Ihre Umrisse verschwammen im regenbogenfarbigen Schillern der Sonne. Sie hob den Arm und gab ein Signal. Das Heulen verstummte. Einige Atemzüge lang war es grabesstill, dann brach der zweite Angriff der Ainu los. Die halb nackten Körper glitten blitzschnell und geschmeidig die Felsen hinunter, verschwanden im Unterholz und im tiefen Gras, das stellenweise den Talboden bedeckte.
Der erste Ansturm traf die Reiterflanke unter Yi-Ams Befehl. In der Ebene wären die Tungusen mühelos Herr der Lage geworden, doch in dem engen Tal konnte sich die Schlagkraft des Heeres nur schlecht entfalten. Die Pferde rutschten auf den moosbedeckten Steinen aus, die Sträucher versperrten die Sicht und die Soldaten behinderten sich gegenseitig. Unter dem mörderischen Speer- und Pfeilregen kippten die Männer reihenweise aus dem Sattel.
Von der anderen Talseite her hatte Iri den verzweifelten Kampf der linken Flanke beobachtet und sandte eine Einheit zur Verstärkung. Die Abteilung brauste an der Felswand vorbei, Yi-Am zu Hilfe. Alles hatte sich in wenigen Augenblicken
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