Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
»das ist viel zu gefährlich für dich.«
Felix blickt von seiner Arbeit auf. »Daisy«, sagt er, »jemand muss die Küstenwache verständigen. Wir könnten da draußen vielleicht Hilfe brauchen.«
Daisy schaut ihn an. Ihre Unterlippe bebt.
»Genau jetzt brauche ich diese gute Fee, Daisy …«, sagt Felix, »… sie könnte diejenige sein, die uns rettet.«
Ein Lächeln huscht über Daisys Gesicht. Sie nickt und wischt sich die Tränen ab. »Okay.«
Sie rennt den Ponton entlang und ich weiß, dass ich sie nicht aus den Augen lassen sollte. Was wäre wohl, wenn sie ins Wasser fällt oder beim Überqueren der Straße angefahren wird? Ich versuche, die Gedanken zu verbannen, und helfe Felix ins Boot.
Felix zieht das Hauptsegel auf. »Nimm dir eine Rettungsweste!«, brüllt er. »Ich hab hier zwei.«
»Warte mal!«, brülle ich zurück. Ich rase den Ponton runter, klettere in eins der Ausflugsboote, hebe den Deckel einer Sitzbank hoch und ziehe zwei weitere Rettungswesten hervor, eine für Jake und eine für Ethan. Dann renne ich zurück zu Felix. Wir müssen sie aufhalten, bevor sie dierelativ ruhige See im Windschatten des Kaps verlassen. Vielleicht können wir sie dazu bringen umzukehren. Ich ziehe mir die Rettungsweste über, steige ins Boot und helfe Felix in seine Weste.
»Also, los!«, brüllt Felix.
Ich mache die Leinen los und stoße die Jolle vom Ponton ab. Felix bugsiert uns sicher durch die enge Ausfahrt zwischen den Hafenmauern, hinaus ins offene Meer und hinaus in die graugrünen Wogen des Ozeans.
Kapitel 35
Die Woge rollt auf die Küste zu und donnert gegen die Hafenmauer. Ich kann ihre Kraft spüren, als die zurückflutenden Wellen an die Bootswand der Jolle prallen. Jake und Ethan haben den Abstand zwischen sich und uns vergrößert. Die Moana fährt mit vollen Segeln und neigt sich schwer zur Seite.
Felix hat die Segel teilweise gerefft, aber auch unser Boot neigt sich zur Seite. Ich lehne mich auf der anderen Seite über Bord, um es im Gleichgewicht zu halten. Ich bin froh, dass die Jolle ein langes Kielschwert hat. Damit wird die Wahrscheinlichkeit zu kentern geringer. Felix’ Gesicht ist hoch konzentriert. Das Kap verbirgt sich hinter einem mächtigen Regenvorhang. Gull Rock liegt vor uns im offenen Meer. Seine Silhouette zeichnet sich blassgrau vor dem dunkleren Himmel ab. Hinter dem Kap ist das Wasser mit weißen Schaumkronen gesprenkelt. Dort draußen herrschen Meeresströmungen und stürmische Winde. Das ist kein Ort für kleine Boote. Ich möchte wissen, wie lange das Rettungsboot braucht, um hierherzukommen.
»Wir müssen die Segel noch weiter reffen«, brüllt Felix, »bevor uns diese Wellen mit sich reißen.«
Er dreht das Boot in den Wind, ich drücke mich gegen den Mast, reffe das Hauptsegel und spreize dabei die Beine, um im Wellengang das Gleichgewicht zu halten. Felix hat recht. Wir werden zwar langsamer, aber wir können einfach nicht riskieren, volle Segel zu setzen.
Während Felix das Focksegel refft, nehme ich wieder hinter ihm auf dem Sitz in der Bootsmitte Platz. Der Wind ist heftiger geworden und auch der Wellengang nimmt ständig zu.
Wir pflügen durch die Sprungwellen jenseits des Kaps. Die erste Welle rollt über das Boot. Als das Wasser über meine Beine und um meine Hüften flutet, muss ich tief Luft holen. Wir tragen keine Neoprenanzüge oder warmen Klamotten. Plötzlich erscheint es so bescheuert, dass wir Jake hierher folgen mussten. Der Regenvorhang verdeckt jeden Blick auf die Küste. Vor uns schlingert die Moana über die Wellenberge. Sie bockt und ruckelt und dreht sich seitwärts, weil die Wellen sie vom Kurs abbringen. Wir holen auf, trotz unserer kleineren Segel.
Jake und Ethan quälen sich ab. Das Focksegel flattert lose am Klüver und ich sehe, dass Ethan sein ganzes Gewicht aufs Ruder legt. Die Moana taucht in die Wellenberge ein und treibt am Gull Rock vorbei. Um auf die andere Seite des Felsriffs zu gelangen, müssen sie die Richtung ändern. Hoffentlich wissen sie, dass sie, bevor sie wenden, den Gull Rockweiträumig umsegeln müssen. Wenn sie das Wendemanöver zu früh einleiten, drücken Wind und Wellen sie zu nahe an die Klippen.
Entweder haben sie Angst, zu weit aufs offene Meer hinauszufahren, oder sie haben sich bei der Wende verschätzt, jedenfalls schwenkt Ethan die Moana gegen den Wind und wir sehen, wie sie haarscharf am Felsen vorbeischrammt. Jake lehnt sich, das Tau zum Hauptsegel in der Hand, weit über die Flanke der Moana
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