Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Walther
Vom Netzwerk:
den Dächern der Stadt. Er sucht nach den intensiven Erinnerungen, die er vereinzelt hat, ausgelöst durch ein Detail, einen Sonnenstrahl in der Fensterlaibung, ein halbes Wort, die Härchen auf Andreas’ gebeugtem Nacken.
    Er bekommt keine Erinnerung zu fassen. Nur eine Stimmung, ein verschwommenes Bild und eine Sehnsucht, die ihn schmerzt. Je fester er die Augen schließt, je mehr er sie zu halten und ergründen versucht, desto erbarmungsloser entgleiten sie. Kann in Gedanken nur vorsichtig an dem Punkt verharren, an welchem er die Erinnerung spürt, die vielleicht nur ein Traum, eine Fantasie oder vage Stimmung gewesen ist. Kann sie nicht bedrängen.
    Eine unangenehme Erinnerung schiebt sich nach vorne, überlagert alles. Als er beim Waschen halbnackt dalag, war da ein Gefühl gewesen, nur eine seltsame Parallele, die unkonkret blieb. Jetzt weiß er es. Und die Erinnerung ist präsent, detailliert. Hat sich über die Jahre nicht abgeschliffen.
    »Gefällt dir mein Körper?«, fragte er, nicht zum ersten Mal, aber dieses Mal fordernder. Zu lange trieb ihn diese Frage um, als dass er diese noch verständnisvoll, nachsichtig hätte stellen können. Er hatte nur die Schlafanzughose angezogen, löschte das Licht und stieg neben Andreas unter die Decke.
    »Das hast du schon mal gefragt – ja.« Andreas’ kühle Hand begann über seine Brust zu streichen, mit gleichmäßigem, festem Druck.
    Diesmal war er es, der ruhig und passiv dalag, dem Druck der Hand nachspürte. Die Finger streichelten seine Brustwarzen, seinen Bauch, gingen tiefer. Die Berührungen lösten nur wenig Wärme in ihm aus, doch er spürte seinen Körper reagieren. Er schob die Decke nach unten und betrachtete in dem schwachen Lichtschimmer vom Fenster seinen schönen erregten Körper. Dann zog er seine Hose herunter und Andreas’ Hand umfasste sein Geschlecht. Er schloss die Augen und begann schwer zu atmen.
    Dann öffnete er die Augen wieder, sah im schwachen Licht das Gesicht seines Freundes. Alles in ihm wurde plötzlich kalt. Andreas betrachtete seinen Körper wie ein Stück Fleisch, an dem er eine mechanische Verrichtung durchführte, völlig unbeteiligt.
    »Ich kann es nicht ertragen, wie du mich ansiehst! So gleichgültig.«
    »Dann schau nicht hin«, antwortete Andreas ungerührt.
    Er hörte das Klatschen der Ohrfeige, ohne einen klaren Gedanken gefasst zu haben, sah Andreas’ Kopf zur Seite fliegen. Er hatte mit aller Kraft zugeschlagen. Eine weitere Bemerkung und er würde es noch einmal tun.
    Er bedeckte sich. »Dann schau nicht hin!« Er spie jedes Wort einzeln aus. Schrie Andreas an. Fühlte sich verletzt. Durch die zynischen Worte, das unbeteiligte Gesicht, dem er in all seiner Nacktheit und Lust ausgeliefert gewesen war. Sie stritten sich. Warfen sich Beleidigungen an den Kopf. Schleuderten sich ihre Frustration entgegen, ihre Enttäuschung, ihre Angst.
    Doch schließlich beruhigten sie sich beide, sagten nichts mehr. Immer noch im Dunkeln, jeder für sich. Nach einer Weile stand Andreas auf, zog sich hastig an: »Ich gehe dann. Es tut mir leid. Es war von Anfang an ein Fehler.«
    Seine Stimme klang mühsam beherrscht. Er hörte das Schließen der Schlafzimmertür, realisierte erst jetzt. Er zog eine Unterhose an und stürzte in den Flur. Fand Andreas schluchzend an der Wand neben der Wohnungstür, zusammengesunken.
    »Was hast du gesagt?«, fragte er laut. Andreas hob schützend seine Arme über den Kopf, sein Körper spannte sich an.
    Er erschrak. Bemühte sich, leise zu sprechen: »Komm, schlaf auf der Couch, es ist schon spät.« Er zog ihn sanft am Arm hoch, führte ihn ins Wohnzimmer. Am nächsten Morgen nahmen sie dankbar die Normalität an, in der Küche zusammen Kaffee zu trinken. Gingen sehr behutsam miteinander um, sprachen nicht mehr über das, was sich in der Nacht zwischen ihnen zugetragen hatte.
    Er schließt die Augen, gleitet einen Moment weg, nickt ein. Dann schreckt er wieder auf, fühlt sich nicht erholt. Draußen entsteht Unruhe, ein Kind lacht, wahrscheinlich Mertens’ Kleiner. Andreas kommt herein, strahlt, sein Gesicht ist gerötet von der frischen Luft, sein Haar ein bisschen zerzaust. Er lächelt ihn an. Das ist fast die einzige Möglichkeit, die ihm geblieben ist, um Zärtlichkeit auszudrücken: sein Lächeln, die Wärme seiner Augen. Manchmal auch der Klang seiner Stimme, seine Worte. Nur noch selten seine kraftlos gewordenen Hände.
    Andreas tritt näher, zieht die Decke gerade. Er streicht über seine

Weitere Kostenlose Bücher