Im Zimmer wird es still
ist immer das gleiche lähmende Entsetzen gewesen, bisweilen nur kurz, eine Welle, die durch seinen Körper lief. Immer schnell verdrängt. Jetzt gesteht er sich ein, dass er Angst hat, ins Wohnzimmer zu kommen und Peter tot zu finden.
Wenn er sich vorstellt, in der Stunde des Todes bei ihm zu sein, ist der Moment nicht so plötzlich. Ein Abschiednehmen. Aber Peter als toter Körper, ohne Übergang, ist für ihn nicht fassbar, erschreckt ihn. Er schaut zu Peter, der ganz ruhig daliegt, die Augen halb geschlossen. Langsam weicht das Entsetzen von ihm, löst sich die Lähmung. Peter atmet. Er bringt Marmelade und Honig nach drüben und gibt Peter einen flüchtigen Kuss. Dann presst er die Orangen aus, toastet Brot und holt Milch aus dem Kühlschrank.
»Geht es dir gut?«, fragt ihn Peter.
Er bemüht sich, weniger abwesend zu wirken: »Ja.«
Nach dem Frühstück geht er endlich ins Bad und zieht sich an. Wird gerade noch rechtzeitig fertig, um Schwester Annegret hereinzulassen. Als sie eintritt, bricht die Sonne durch und bringt den taufeuchten Hof hinter ihr zum Aufleuchten.
Er führt sie ins Wohnzimmer und bietet ihr einen Kaffee an. Sie lehnt sofort ab und sieht einen Moment gehetzt aus. Etwas, das er noch nie an ihr gesehen hat. Dann gibt sie Peter die Hand, wirkt so ruhig und freundlich wie immer.
Er bringt ihr eine Schüssel mit Wasser. Schwester Annegret nimmt die Decke weg. Bezwingt seinen Impuls wegzugehen. Er muss ihr gleich helfen, die Windel zu wechseln. Sie ist geschickt und flink dabei. Er schaut weg, versucht, innerlich abzuschalten. Schämt sich deswegen, aber er kann es nicht ertragen. Der Geruch, die schlaffe, ungesunde Haut. Der Körper, der nicht mehr der ist, den er kannte.
Die Schwester zieht Peter ein frisches Hemd an. Es hat eine scheußliche, krankenhausgrüne Farbe und ist im Rücken offen.
»Jetzt das Laken.«
Er hat es schon am Abend bereitgelegt und gibt es ihr. Dreht Peter behutsam auf die Seite, zu sich heran, so weit es geht. Hält ihn, während sie mit geübten Bewegungen das alte Laken zurückschiebt und das frische unterlegt. Da ist die wundgelegene Stelle am Steiß. Er muss hinsehen, als die Schwester sie behandelt. Es ist der Anblick, vor dem er am meisten Angst hat. Die Stelle bereitet ihm schon vom Hinsehen Schmerzen, rot glänzend wie rohes Fleisch. Ein Loch in Peters Haut, daumennagelgroß. Seit Peter nicht mehr im Krankenhaus gepflegt wird, ist es schon kleiner geworden. Peters Hand klammert sich an seine Schulter und er weiß, dass sein eigener Schmerz nicht der schlimmste ist.
Er lässt Peter vorsichtig wieder zurückrollen, wissend, dass er ihm damit neue Schmerzen bereitet. Geht um das Bett herum. Es ist noch nicht vorbei. Er dreht Peter vorsichtig zu sich, braucht jetzt seine ganze Kraft dafür. Die Schwester entfernt mit einem Zug das alte Laken und zieht das neue glatt. Sie streicht die Falten heraus und dann kann er Peter zurückdrehen. Peter hat die Augen geschlossen. Eine Welle von Schmerz spiegelt sich in seinem angespannten Gesicht. Die Schwester spritzt Morphium. Keiner spricht. Er drückt Peters Hand. Sein Gesicht entspannt sich langsam wieder, seine zusammengezogenen Brauen und seine zusammengepressten Lippen lösen sich. Peter öffnet die Augen, bedankt sich bei Schwester Annegret, die seinen Unterarm tätschelt. Dann schaut sie auf die Uhr und verabschiedet sich mit einem aufmunternden, vertraulichen Nicken.
Er räumt das Waschwasser und das alte Laken weg. Peter möchte sich rasieren und bittet ihn um eine Schüssel mit warmem Wasser. Er bringt ihm alles und stellt einen kleinen Spiegel vor ihn aufs Tablett. Peter beginnt sich zu rasieren. Er beobachtet ihn verstohlen. Nur mit Mühe schafft es Peter, den Rasierer zu halten und mit dem richtigen Druck über die Haut zu führen. An den Koteletten rutscht er ab und schneidet sich. Wäscht das Blut ab, ein paar Tropfen mischen sich mit dem Waschwasser. Er gibt Peter ein Papiertuch und tritt hinter ihn, nimmt ihm den Rasierer aus der Hand und rasiert die Stelle schnell ordentlich. Peter lächelt ihn durch den Spiegel an. Dann wäscht er sich den Schaum ab und trägt Creme auf.
Er räumt das Tablett weg. Peter ist sichtlich erschöpft. Er strafft seine Schultern und geht wieder zu ihm.
»Ruh dich auch einen Moment aus«, sagt Peter.
»Nein, nein. Ich muss …«
»Na komm, mir zuliebe.«
Er will aufzählen, was er erledigen muss, aber dann gibt er nach, gibt nur zu gerne nach. Legt sich auf die Couch.
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