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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Walther
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drüben und er merkt, dass das Wasser immer noch überläuft. Er dreht den Hahn zu und verbannt die Gedanken an Mark aus seinem Kopf. Dann fällt ihm ein, dass er Katharina versprochen hat, beim Äpfelernten zu helfen. Er sagt Peter Bescheid und geht nach draußen.
    ✴ ✴ ✴
    Die Decke hat einen Riss, der sich von der Fensterseite bis zum Rand seines Blickfeldes über seinem Kopf zieht. Der Riss ist haarfein, wahrscheinlich ist nur die Farbe gerissen. Die weiße Decke wirkt angegraut, besonders zu den Wänden hin und um die Lampe. Der Anstrich ist schon etliche Jahre her.
    Der Postbote kommt. Er sieht nur seinen Oberkörper in der blau-gelben Jacke, hört das klackende Geräusch, als die Post in den Kasten fällt. Dann sieht er seinen Rücken, weil er sich hinüber zu Mertens’ Haustür wendet. Hoffentlich hat er kein Paket dabei, denn sie sind ja alle hinten auf der Wiese bei der Apfel-ernte. Sie würden die Klingel kaum hören. Aber der Bote geht zurück, schlägt die Tür des Transporters zu.
    Es ist still. Er hört die Uhr ticken. Sie zerhackt die Minuten. Er versucht, die Fernbedienung zu erreichen. Sie liegt weiter hinten auf dem Schränkchen. Er bekommt sie nicht zu fassen, eine Medikamentenschachtel fällt zu Boden. Dann hat er die Fernbedienung, kann sie auf die Bettdecke legen. Er drückt den roten Knopf, aber der Fernseher reagiert nicht. Nimmt die Fernbedienung in die Hand, hält sie in die richtige Richtung. Versucht wieder, den Knopf zu drücken, aber sein Finger gleitet ab. Seine Fingerspitzen fühlen sich taub an. Er versucht es mit einem anderen Finger, schafft es aber nicht, die richtige Taste zu drücken. Seine Hände wehren sich, bleiben widerspenstig.
    Er lässt die Fernbedienung sinken. Betrachtet seine Hände, die sich verkrampft haben. Er erinnert sich an ein Kollier, das seine Hände geschaffen haben. Ein Kollier aus verschlungenem Silberdraht und winzigen Perlen, zu einer unregelmäßigen, üppigen Kaskade verbunden. Eine Geschäftsfrau kaufte es für ihre Freundin. Erinnert sich an Entwürfe, Zeichnungen von Ringen auf großen Papierbögen, filigrane Linien, Schattierungen mit weichem Bleistift. Er erinnert sich daran, wie sich die warme Struktur von Gold unter seinen Fingern anfühlte, wie es sich seinem Willen beugte, die Form annahm, die er sich vorgestellt hatte. Sich der Präzision seiner Hände beugte. Er erinnert sich an das Licht der Vitrinen, das seine schönsten Stücke zum Glitzern brachte.
    Sein Blick gleitet über die Einrichtung des Wohnzimmers, die Stühle am Esstisch, von denen er nur die Lehnen sieht, das Sideboard und die Couch. Die Kissen sind plattgedrückt. Auf dem Schränkchen steht eine Vase, die Dahlien darin sind an den Rändern schrumpelig geworden, werden bald verwelkt sein. Die Linde vor dem Fenster filtert das Sonnenlicht, das in den Raum fällt, macht es weicher.
    Das Licht im Krankenhaus war immer hart. Mittags fiel gleißendes Sonnenlicht ein, heizte das Zimmer auf. Dann verschwand die Sonne hinter dem Seitenflügel. Abends warf der Fernseher des Bettnachbarn einen blauen Schein an die Wand, hinderte ihn am Schlafen. Nachts schreckte er hoch, wenn die Schwester das grelle Neonlicht anmachte. Die Nächte waren lang. Nie dunkel. Das orangefarbene Licht der Laternen auf dem Gelände fiel mühelos durch die dünnen Jalousien. Der Mann im Bett neben ihm schnarchte.
    Wenn Andreas da war, sprachen sie über das Wetter, Andreas’ Arbeit, suchten nach anderen Themen. Sie schwiegen viel.
    Der Arzt wollte Andreas sprechen. Erst im Krankenhaus hatte er eine Patientenverfügung ausgefüllt. An der Nervosität des jungen Arztes konnte er erahnen, dass dieser keine guten Nachrichten für ihn hatte. Er sah es in Andreas’ Gesicht, als er zurückkam. Die Behandlungen hörten auf. Er redete sich ein, die Ärzte wollten die Wirkung abwarten. Glaubte, jenes Medikament könne etwas verbessern. Sie würden eine neue Behandlungsmethode, eine ganz neue Medizin finden.
    Dann konnte er sich nicht mehr belügen. Er bat den Arzt um Ehrlichkeit. Scheute sich aber, mit Andreas darüber zu sprechen. Was sollte er sagen. Er wusste, dass er selbst Schuld war, hätte viel früher zum Arzt gehen müssen. Er war wütend auf sich. Es blieb ihm nur, seine Krankheit zu akzeptieren, stark zu sein.
    Er versucht, an etwas anderes zu denken. Eine schöne Erinnerung schweift durch Bilder der Vergangenheit. Sonnenlicht, das durch die Zweige eines Olivenbaums fällt, das Glitzern des Schnees auf

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