Im Zweifel suedwaerts
Besseren belehrt. Denn viel schwerer wog die Tatsache, dass auf der Rückseite desselben Tortenstockwerks ein tennisballgroßes Stück herausgebrochen war. Hier war etwas Unvorhergesehenes passiert. Etwas, das die Laune der Braut nicht nur trüben, sondern ruinieren würde. Zischend zog ich die Luft durch die Zähne. »Scheiße …«
»Es tut mir wirklich leid, Schätzelein. Aber ich möchte betonen: Es ist nur eine Torte.« Ich bemerkte Betty erst jetzt, weil sie versteckt in der Nische neben der Tür gehockt hatte, zwischen ihren Knien ihr zweijähriger Sohn Max, der sich wand und wehrte, während sie ihm die klebrigen Hände mit einem Taschentuch sauber machte. Sie trug ein buntes, bodenlanges Sommerkleid und hatte ihre Dreads zu einem kunstvollen Gebilde auf dem Kopf aufgetürmt und mit Blumen geschmückt. Max hatte sie zur Feier des Tages ein hellblaues Hemd angezogen, das jetzt deutliche Flecken von grünem Marzipan und Cremefüllung aufwies.
» Nur eine Torte?« Ich spürte die Panik in mir hochsteigen. »Erzähl das mal meiner Mutter!« Sie hatte Wochen damit zugebracht, sich für ein Dekor zu entscheiden, für die Farbe des Marzipans (wie der Hut passend zu ihrem Kleid), die Größe der Zuckerblümchen, die Anzahl der Stockwerke (vier!), und wie genau das kleine Brautpaar auf der Spitze der Torte aussehen sollte. Wie viele Gedanken in dieses Backwerk investiert worden waren, davon konnte sich ein Außenstehender keine Vorstellung machen. Und ganz sicher wusste ein umtriebiger Zweijähriger nichts davon.
»Und jetzt?«, fragte Richard. Ein Mann eben. Lösungsorientiert.
Betty erhob sich und gesellte sich zu uns an den Tatort. »Wenn man sie richtig dreht, fällt es vielleicht niemandem auf.«
Ich sah sie fassungslos an. »Du glaubst nicht wirklich, dass das klappt, oder? Nicht wirklich.«
»Das wissen wir erst, wenn wir es probieren.«
»Wir werden es aber nicht probieren. Nicht bevor ich mich nicht ins Ausland abgesetzt und mir eine neue Identität zugelegt habe.«
»Serviette drüberlegen?« Bereit zum Einsatz, wedelte Richard mit einem hellgrünen Stück Zellulose.
Ich schüttelte den Kopf. »Das wird aus so vielen verschiedenen Gründen nicht funktionieren, dass es sich gar nicht lohnt, sie aufzuzählen.«
»Und wenn ich die Serviette erst in Form schneide?«
Ich verstand einfach nicht, wie Richard jetzt Witze machen konnte. Eine zermatschte Hochzeitstorte. Das war Super- GAU Nummer 3. Gleich nach »Vor dem Altar stehen gelassen« und »Brautkleid zu klein / kaputt / mit Rotwein bekleckert«. All das war nicht passiert. Es war bis hierher einfach alles zu gut gelaufen. Ich hätte dem Frieden nicht trauen dürfen. »Wir müssen den Schaden kaschieren.«
»Sag ich doch.« Die Serviette wurde mir erneut vor die Nase gehalten. Max kicherte vergnügt.
»Nein, nicht so!« Langsam kam ich wirklich ins Schwitzen. Die Braut würde ausrasten.
»Wie wäre es denn«, Betty tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger an die Unterlippe, »wenn wir die Torte verschwinden lassen?«
»Brillante Idee«, antwortete ich trocken. »Das wird meiner Mutter sicher nicht auffallen.«
»Na, ich mein doch nicht das ganze Ding, Schätzelein. Nur den unteren Teil. Den mit der Lücke …«
Ich war skeptisch. »Sie hat eine vierstöckige Torte bestellt, das weiß sie ganz genau. Sie wird es merken. Besonders heute, da sind ihre Sinne extrem geschärft. Ihr könnt das nicht wissen, ihr musstet sie nicht die letzten sechs Wochen ertragen. Aber ich weiß es. Sie ist eine Hochzeitsmaschine, ein Monster …« Ich merkte, dass ich Gefahr lief zu hyperventilieren. Ich versuchte, mich zu beruhigen, die amüsierten Gesichter meiner sogenannten Freunde zu ignorieren, mich aufs Wesentliche zu konzentrieren. »Wenn das untere Stockwerk fehlt, rastet sie aus, dann kann ich für nichts mehr garantieren.«
»Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.« Betty zuckte mit den Schultern. »Du hast ja auch keine bessere Idee.«
Ich fand, dass das Wort »Versuch« zu harmlos klang. Wenn dieser Plan misslang, würde es keine weiteren Versuche geben. Dann würde sich die pistaziengrüne Braut in den unglaublichen Hulk verwandeln und uns allen die Köpfe abreißen. Uns drei Erwachsenen zumindest, das Kind würde sie vermutlich verschonen. Allerdings war es leider so, ich hatte tatsächlich keine bessere Idee, wie dieses Problem zu lösen war. Außer der Beschaffung einer neuen Torte vielleicht, aber die würden wir so schnell nicht
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