Imagica
befindet er sich? Warum ist er nicht ebenfalls gekommen, um wie du Vergebung zu erbitten?«
»Er glaubte nicht, daß du dich in der Stadt aufhältst«, erwiderte Quaisoir. »Selbst als ich ihm davon erzählte, daß ich dich am Hafen gesehen habe... blieb er auch weiterhin skeptisch.«
»Ein Mann des Argwohns, wie?«
»Eigentlich vertraut er nur sich selbst«, flüsterte Quaisoir bitter.
Dowd wippte vor und zurück, als er weitere Fragen stellte; seine Aufmerksamkeit war jetzt so sehr auf die Frau konzentriert, daß er Judith keine Beachtung mehr schenkte. Sie näherte sich vorsichtig und wünschte sich, daß Quaisoir in ihren Armen ruhte.
»Wer ist dein Mann wirklich?« erkundigte sich Dowd.
»Du kennst ihn doch. Als Autokrat herrscht er über Imagica.«
»Aber er war nicht immer der Autokrat, oder?«
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»Nein.«
»Was ist er vorher gewesen?« drängte Dowd. »Ein gewöhnlicher Mann?«
»Nein«, antwortete Quaisoir. »Ich glaube, das war er nie. Ich erinnere mich nicht genau.«
Ganz plötzlich richtete Dowd sich auf und rührte sich nicht mehr. »Ich glaube, du erinnerst dich«, sagte er, und sein Tonfall veränderte sich auf subtile Weise. »Sag es mir«, fügte er hinzu. »Sag mir, was er gewesen ist, bevor er zum Autokraten von Yzordderrex wurde. Und du... Was warst du?«
»Nichts«, entgegnete Quaisoir.
»Wie konntest du dann zur Gemahlin des Herrschers werden?«
»Er liebte mich. Von Anfang an liebte er mich.«
»Du hast doch keine gottlosen Dienste geleistet, um die Liebe des Autokraten zu erringen, oder?« fragte Dowd. Die Frau in seinen Armen zögerte. »Nun?« Dowds Stimme wurde etwas schärfer. »Was hast du getan? Was?«
Judith glaubte, ein Echo von Oscars Tonfall zu vernehmen -
der Diener sprach nun mit der Stimme des Herrn. Der Ärger des ›Heilands‹ erschreckte Quaisoir, und sie antwortete: »Ich habe häufig die Bastion der Banu besucht«, gestand sie. »Sogar den Annex. Auch dort bin ich gewesen.«
»Und wer leistete dir Gesellschaft?«
»Verrückte Frauen. Einige von ihnen brachten ihre Ehemänner oder Kinder um...«
»Was sollte dir daran gelegen sein, so armselige Geschöpfe zu besuchen?«
»In ihrer Nähe gibt es verborgene... Mächte.«
Judith wagte sich noch etwas weiter vor.
Dowd stellte jene Frage, die ihr auf der Zunge lag: »Was für Mächte?«
»Auf etwas Gottloses ließ ich mich dort nicht ein«, verteidigte sich Quaisoir. »Nur um Läuterung ging es mir. Ich 682
träumte vom Zapfen. In jeder Nacht lastete ein Schatten auf mir und drohte, mich zu zerquetschen. Davon wollte ich mich befreien.«
»Und ist es dir gelungen?« erkundigte sich Dowd. Erneut zö-
gerte Quaisoir und gab erst Auskunft, als die Frage wiederholt wurde: »Ist es dir gelungen?«
»Man hat mich nicht geläutert, sondern verändert. Die Frauen brachten mir keine Reinheit, sondern das Gegenteil. Ich habe Schmutz in meinem Leib, und ich werde ihn nicht los.«
Quaisoir zerrte an ihrer Kleidung, bis ihre Finger Bauch und Brüste fanden. »Etwas steckt in mir drin!« heulte sie. »Und verursacht mir schlimmere Träume als jemals zuvor.«
»Sei ganz ruhig«, sagte Dowd.
»Es soll endlich aus mir verschwinden!« Die Blinde erlitt eine Art Anfall und zuckte so heftig, daß sie Dowd aus den Armen glitt. »Ich spüre es deutlich in mir.« Die Fingernägel hinterließen blutige Kratzer auf den Brüsten.
Judith sah Dowd an und rechnete damit, daß er auf irgendeine Art und Weise aktiv wurde, aber er erhob sich nur und beobachtete amüsiert die Frau zu seinen Füßen. Ihr Anfall schien durchaus eine ernste Sache. Auch aus anderen Kratzern quoll Blut; Quaisoir schrie und forderte den ›Schmutz‹ immer wieder auf, ihren Körper zu verlassen. Die Agonie bewirkte eine seltsame Veränderung des Körpers - die Blinde schien nun damit zu beginnen, den Makel aus sich herauszuschwitzen.
Doch aus den Poren drang keine salzige Flüssigkeit, sondern ein mattes Glühen, und die Zellen der Haut wechselten allmählich die Farbe. Jude erkannte das Blau, das nun vom Hals ihrer Schwester ausging, sich nach unten ausdehnte und auch nach oben wuchs, das verzerrte Gesicht erfaßte. Der blaue Glanz des Steins. Das blaue Leuchten der Göttin.
»Was ist das?« fragte Dowd.
»Fort von mir! Fort von mir!«
»Ist das der Schmutz?« Dowd ging in die Hocke. »Antworte 683
mir!«.
»Nimm ihn weg!« Quaisoir schluchzte, und ihre Fingernägel setzten die Selbstgeißelung fort.
Jude ertrug es nicht länger. Es war
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