Imagica
Straßen.«
»Ja«, erwiderte Judith.
»Eigentlich ist es gar nicht schlecht, daß du hierhergekommen bist.« Dowd kam nun näher. »Dadurch spare ich einen Käfer.«
»Warum willst du mir etwas zuleide tun?« fragte Jude und ging ebenfalls zum Du über.
»Die gleiche Frage könnte ich an dich richten«, sagte er. »Du wünschst dir Leid für mich, stimmt's? Und du würdest nicht zögern, den Schmerz mit deinen eigenen Händen zu bringen.
Gib es zu!«
»Ich gebe es zu.«
»Na bitte. Ich bin ein guter Beichtvater, nicht wahr? Und dies ist nur der Anfang. Du trägst einige Geheimnisse in dir, von denen ich nichts ahnte.« Dowd hob die Hand und malte einen imaginären Kreis in die Luft. »Allmählich wird mir die Perfektion der ganzen Sache klar. Alles kehrt dorthin zurück, wo es begann. Zu ihr. Oder zu dir. Es spielt keine Rolle. Ihr seid eins.«
»Zwillinge?« vermutete Judith. »Soll das heißen, Quaisoir und ich sind Zwillinge?«
»Die Erklärung ist nicht annähernd so banal. Nun, es kam einer Beleidigung gleich, als ich dich als Schatten bezeichnete.
Du bist viel einzigartiger. Du bist...« Dowd unterbrach sich.
»He, das ist wohl kaum fair. Ich erzähle dir, was ich weiß -
ohne daß du mir Informationen anbietest.«
»Ich habe von nichts eine Ahnung«, sagte Judith. »Leider.«
Dowd blieb stehen und hob eine noch nicht verwelkte Blüte auf. »Was auch immer Quaisoir weiß - du teilst ihre Kenntnisse. Zumindest im Hinblick auf den Fehlschlag.«
»Fehlschlag?« wiederholte Jude verwundert.
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»Die Rekonziliation. Du warst dabei. O ja, du hältst dich nur für eine unschuldige Zuschauerin, aber bei dieser Angelegenheit gibt es überhaupt keine Unschuldigen.
Estabrook, Godolphin, Gentle, der Mystif... Alle haben Schuld auf sich geladen. Alle müßten tagelang beichten.«
»Auch du?« fragte Judith.
»Nun, bei mir liegt der Fall ein wenig anders.« Dowd schnupperte an der Blüte. »Ich bin der Schauspielkunst verfallen. Mein Entzücken ist nur vorgetäuscht. Ich würde gern die Welt verändern, aber immer wieder läuft alles auf Unterhaltung hinaus. Ihr Liebenden hingegen...« Die Verachtung war unüberhörbar. »Euch ist die Welt völlig gleich, solange ihr euch nur der Leidenschaft hingeben könnt. Ihr brennt Städte nieder und stürzt ganze Nationen ins Verderben.
Ihr seid der Motor des Tragischen, und die meiste Zeit über wißt ihr es nicht einmal. Nun, was muß ein Schauspieler wie ich anstellen, wenn er ernst genommen werden will? Ich sag's dir. Er muß lernen, Gefühle so gut vorzutäuschen, daß man ihm erlaubt, die Bühne zu verlassen, um einen Platz in der Wirklichkeit zu finden. Ich mußte viel proben, um zu erreichen, was ich nun bin. Ja, ich habe ganz klein angefangen.
Als Bote und Speerträger. Einmal bin ich für den Unerblickten in die Rolle des Zuhälters geschlüpft. Später diente ich Liebenden...«
»Wie zum Beispiel Oscar.«
»Wie Oscar.«
»Du hast ihn gehaßt, nicht wahr?« fragte Judith.
»Nein. Ich hatte ihn und seine Familie einfach nur satt. Reine Langeweile. Oscar war so sehr wie sein Vater, und wie der Vater seines Vaters, und so weiter - bis hin zum irren Joshua.
Meine Ungeduld wuchs. Ich wußte, daß sich irgendwann der Kreis schließen würde, um mir einen großen Auftritt zu ermöglichen. Nun, es fiel mir sehr schwer, auch weiterhin zu warten, und manchmal ließ ich mir das anmerken.«
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»Du hast Pläne geschmiedet.«
»Natürlich. Ich wollte den Dingen ein wenig nachhelfen, die allgemeine Entwicklung vorantreiben, um eher in den Genuß meiner... Emanzipation zu kommen. Eiskalte Berechnung steckte dahinter. Typisch für mich. Ich bin ein Künstler mit der Seele eines Buchhalters.«
»Hast du Pie beauftragt, mich zu töten?«
»Nicht mit bewußter Absicht«, sagte Dowd. »Ich habe das eine oder andere in Bewegung gesetzt, ohne zu ahnen, daß sich solche Konsequenzen daraus ergeben würden. Ich wußte nicht einmal, ob der Mystif noch lebte. Wie dem auch sei: Es dauerte nicht lange, bis ich die Unvermeidlichkeit begriff. Zuerst Pies Erscheinen. Dann deine Begegnung mit Godolphin, die erneut das Feuer der Liebe entzündete. Es mußte auf diese Weise geschehen. So verlangte es das Schicksal. So verlangte es eure Geburt. Übrigens: Vermißt du ihn? Sag mir die Wahrheit.«
»Ich habe kaum an ihn gedacht«, erwiderte Judith. Sie nahm diese Tatsache mit Erstaunen zur Kenntnis.
»Aus den Augen, aus dem Sinn, wie? Ich bin froh, daß ich von Liebe
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