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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Zerstörte sich der Monolith selbst? Oder streifte er nur eine alte Haut ab? Was auch immer der Fall sein mochte: Die Schattenzone unter dem Zapfen bot keine Sicherheit mehr. Die Risse im Boden waren schon dreißig Zentimeter breit, und die enorme Masse über Gentle und Judith erbebte nun, als fiele es ihr immer schwerer, auch weiterhin zu schweben. Zacharias wußte plötzlich, daß ihnen gar keine Wahl blieb: Sie mußten jetzt sofort zur Tür und dabei riskieren, von den herabstürzenden Steinen erschlagen zu werden.
    Er gesellte sich Judith hinzu und fragte sich, wie sie den Hagel überleben sollten. Chicka Jackeen fiel ihm ein, und vor seinem inneren Auge sah er ihn noch einmal unweit der Rasur -
    hoch erhobene Hände hatten ihn vor dem Zorn des Sturms bewahrt. Bringe ich das ebenfalls fertig? dachteGentle. Er gab dem Zweifel nicht genug Zeit, in ihm zu sprießen, hob die Hände auf die gleiche Weise wie Jackeen und trat aus dem Schatten. Ein Blick nach oben bestätigte das Ausmaß der Gefahr. Jenseits der dichten Staubwolke lösten sich Brocken wie Schuppen vom Zapfen, groß genug, um sowohl Gentle als auch seine Begleiterin zu zermalmen. Doch die Hände schützten sie. Tonnenschwere Steine platzten einen knappen Meter über Zacharias auseinander, und nicht einmal ihre Splitter erreichten ihn oder Judith. Trotzdem spürte er die Wucht des Aufpralls, als Erschütterungen und Vibrationen in Handgelenken, Armen und Schultern. Nur wenige Sekunden -
    länger konnte er einer solchen Belastung unmöglich standhalten. Jude schien seinem Wagemut zu vertrauen, denn 827

    sie verließ nun ebenfalls den Schatten des Zapfens und floh unter den unsichtbaren Schild. Sieben oder acht Meter erstreckten sich zwischen ihnen und der Sicherheit verheißenden Tür.
    »Führ mich«, forderte Gentle die Frau an seiner Seite auf. Er wandte den Blick nicht von dem steinernen Regen ab, aus Furcht davor, daß nachlassende Konzentration den Zauber vorzeitig beenden könnte.
    Jude schlang ihm den einen Arm um die Taille, übernahm die Führung für sie beide. Sie wies ihn auf Stellen hin, wo die geborstenen Steine nur wenige Hindernisse bildeten, und warnte ihn, wenn es über regelrechte Barrieren hinwegzuklettern galt. Dabei kamen sie nur langsam voran, und Gentles Hände sanken immer tiefer. Nur noch wenige Zentimeter trennten seine Finger vom Kopf, als sie schließlich zur Tür gelangten und in den Korridor wankten. Hinter ihnen schleuderten Zapfen und Turm soviel Gestein herab, daß der Monolith hinter einem massiven Geröllvorhang verborgen blieb.
    Judith löste sich von Gentles Seite, rannte die Treppe hinunter. Die Wände zitterten, und auch hier bildeten sich Risse. Zacharias nahm sich ein Beispiel an Jude und lief ebenfalls durch den Flur zur zweiten Treppe. Unten sah er verblüfft eine Concupiscentia, die wie ein ängstliches Äffchen kreischte und es versäumte, ihrer Herrin zu helfen. Judith ignorierte die Zofe, riß eine Tür auf, eilte durch einen sich neigenden Tunnel und rief unterwegs immer wieder Quaisoirs Namen. Zacharias folgte ihr auch diesmal, doch er kam nicht so schnell voran, wurde abgelenkt von dem Durcheinander aus flüsternden Stimmen und dem Krachen des einstürzenden Turms. Als er die Kammer erreichte, hatte Jude ihre Schwester bereits auf die Beine gezerrt. Es knirschte in der Decke, und Staub rieselte herab, doch Quaisoir nahm diese Dinge überhaupt nicht zur Kenntnis.
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    »Ich wußte, daß du zurückkommen würdest«, sagte sie. »Das habe ich gesagt, nicht wahr? ›Du kommst zurück‹ - so lauteten meine Worte. Möchtest du mich jetzt küssen? Bitte küß mich, Schwester.«
    »Wovon redet sie?« fragte Gentle.
    Der Klang seiner Stimme veranlaßte die Blinde zu einem Schrei, und sie warf sich Judith in die Arme.
    »Was hast du getan?« schrie sie. »Warum hast du ihn hierhergebracht?«
    »Er ist gekommen, um uns zu helfen«, erwiderte Jude.
    Quaisoir spuckte in Gentles Richtung.
    »Laß mich in Ruhe!« schrillte sie. »Reicht es dir noch nicht?
    Willst du mir auch meine Schwester nehmen? Das lasse ich nicht zu, du verdammter Mistkerl! Eher sterben wir, als daß wir dir gestatten, uns zu berühren!« Sie schlang die Arme um Judith und schluchzte. »Schwester! Schwester!«
    »Hab' keine Angst«, erwiderte Jude. »Er ist ein Freund.« Sie sah Gentle an. »Beruhige sie. Sag ihr, wer du bist, damit wir aufbrechen können.«
    »Sie weiß es bereits«, entgegnete Gentle.
    Judiths Lippen formten die Frage Wie

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