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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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daß Sartori ein Mann sein mußte, der kaum Ähnlichkeit mit Zacharias aufwies, der so durch und durch böse war, daß seine Verbrechen Fleisch und Seele verdorben hatten. Judith stellte diese Beschreibung nicht in Frage. Sie dachte an ein Wesen, das Unmenschlichkeit aus allen Poren verströmte, an ein Ungeheuer, dessen Präsenz allein genügte, um Übelkeit zu wecken.
    Als Jude wußte, auf welche Weise Gentle sein anderes Selbst geschaffen hatte, fügte sie eigene Details hinzu. Einige stammten aus Träumen, und bei anderen handelte es sich um Hinweise von Quaisoir oder Oscar Godolphin. Sein Name brachte neue Offenbarungen. Judith berichtete von ihrer Affäre mit Oscar, von Dowd und den Umständen seines Todes, von Clara Leash und der Tabula Rasa.
    »Dadurch wird es in London sehr gefährlich für dich.« Sie wußte nicht viel von der Säuberungsaktion, brachte sie jedoch mit Roxboroughs Edikt in Zusammenhang. »Wenn die Leute herausfinden, wer du bist..., dann werden sie dir mit allen Mitteln nach dem Leben trachten.«
    834

    »Sollen sie es nur versuchen«, erwiderte Gentle grimmig.
    »Auf welche Weise auch immer sie mich angreifen werden -
    ich bin bereit. Ich muß eine Aufgabe erfüllen, und daran werde ich mich nicht von der Tabula Rasa hindern lassen.«
    »Wo beginnst du?«
    »In Clerkenwell. Ich hatte damals ein Haus in der Gamut Street, und Pie meinte, daß es nach wie vor existiert. Dort wartet mein Leben darauf, daß ich mich daran erinnere. Wir beide brauchen die Vergangenheit, Jude.«
    »Woher bekomme ich meine?« fragte sie.
    »Von mir. Und von Godolphin.«
    »Danke für das Angebot, aber eine unvoreingenommene Quelle wäre mir lieber. Ich habe Clara verloren, und jetzt auch Quaisoir. Ich muß nach jemand anderem suchen.«
    Sie dachte dabei an Celestine, die in der Finsternis unter dem Turm der Tabula Rasa lag.
    »Hast du schon jemanden im Sinn?« erkundigte sich Gentle.
    »Vielleicht«, entgegnete Judith. Erneut widerstrebte es ihr, das Geheimnis zu teilen.
    Zacharias spürte, daß sie ihm auswich.
    »Ich brauche Hilfe, Jude«, sagte er. »Ganz gleich, was in der Vergangenheit zwischen uns gewesen sein mag, Gutes ebenso wie Schlechtes - ich hoffe, wir können auf eine Weise zusammenarbeiten, die uns beiden zum Vorteil gereicht.«
    Dagegen hatte Judith nichts einzuwenden, aber sie weigerte sich, ihr Herz den damit einhergehenden Empfindungen zu öffnen. »Hoffen wir's«, entgegnete sie schlicht.
    An dieser Stelle hielt es Gentle für angebracht, das Thema zu wechseln.
    »Was hat es mit dem Traum auf sich?« fragte er. Und als er die Verwirrung in ihrem Gesicht sah: »Du hast einen Traum erwähnt, in dem ich dir erschien, erinnerst du dich?«
    »O ja«, sagte sie. »Es ist nicht weiter wichtig. Eine unbedeutende Sache.«
    835

    ›Sünder‹ Hebberts Haus war weitgehend unbeschädigt, obwohl von einigen anderen in der Straße nur Trümmer und Asche übriggeblieben waren. Die Tür stand offen, und das Innere wies alle Anzeichen von Plünderung auf - man hatte sogar die Blumenvase mit den Tulpen vom Eßzimmertisch gestohlen. Allerdings deutete nichts darauf hin, daß hier Blut vergossen worden war, abgesehen von einigen dunklen Flecken, die Judith an Dowd erinnerten. Sie vermutete, daß es Hoi-Polloi und ihr Vater geschafft hatten, sich in Sicherheit zu bringen. Die Spuren hastiger Diebstähle reichten nicht bis zum Keller: Zwar fehlten in den Regalen Ikonen, Talismane und Götzenbilder, aber allem Anschein nach hatte man sie systematisch und in aller Ruhe entfernt. Kein einziger Rosenkranz war zurückgeblieben, nichts zerbrochen. Nur eines wies noch auf die Vergangenheit des Kellers als Schatzkammer hin: ein Ring aus Steinen, wie der in Godolphins Zuflucht.
    »Hier sind wir nach dem Transfer erschienen«, sagte Jude.
    Gentle starrte verwundert auf die komplizierten Muster im Boden hinab.
    »Was ist das?« brachte er unsicher hervor. »Was hat das zu bedeuten?«
    »Ich weiß es nicht. Spielt es eine Rolle? Es kommt nur darauf an, daß sich uns hier eine Möglichkeit bietet, zur Erde zurückzukehren.«
    »Von jetzt an müssen wir sehr vorsichtig sein«, meinte Gentle. »Alles hängt miteinander zusammen. Alles ist ein in sich geschlossenes System. Wir sind verwundbar, solange wir nicht unseren Platz in der Hackordnung kennen.«
    Ein System, wiederholte Judith in Gedanken. Darüber hatte sie in der Kammer unter dem Turm nachgedacht: Imagica als ein einziges, unendlich komplexes Muster der Veränderung und

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